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Interdisziplinäre Arbeitsgruppen zum Schutz der Kinder vor Gewalt sind in der Schweiz und Deutschland selbstverständlich. Österreich hat Aufholbedarf. Hierzulande weiß nur ein knappes Drittel der Eltern, dass Körperstrafen verboten sind.

Foto: AP/Michael Probst

Die Kooperation von Behörden läuft beim Kinderschutz nicht immer optimal. Wie ließen sich Vernetzung und Zusammenarbeit verbessern? Eine trilaterale Studie setzt sich mit Kooperationsmodellen von Jugendämtern, Polizei und Staatsanwaltschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz auseinander. Fazit der Sozialwissenschafterin Evelyn Dawid (Institut für Konfliktforschung Wien), Mitautorin der Studie "Kooperation von öffentlicher Jugendhilfe und Strafjustiz bei Sexualdelikten gegen Kinder": "In Deutschland und der Schweiz sind interdisziplinäre und regelmäßige Zusammenkünfte weitgehend selbstverständlich, in Österreich bei weitem nicht."

Arbeitsbündnisse zum Thema Kinderschutz sind in der Schweiz gesetzlich verankert, sie erfüllen einen offiziellen Auftrag, ihre Mitglieder werden für die Arbeit bezahlt. In Deutschland haben die teils seit über zehn Jahren bestehenden Arbeitsgruppen Prävention und Information als Schwerpunkt. In Österreich ist die Aufgabenstellung ähnlich wie in Deutschland, mit dem Unterschied, dass es hierzulande kaum Bündnisse gibt.

Die Ist-Situation: 14 der 61 befragten österreichischen Jugendämter wirkten zum Studienzeitpunkt an einer Arbeitsgruppe mit. Kriminalpolizisten nahmen an sechs dieser Gruppen teil, die Staatsanwaltschaft an nur einer.

Vorgefasste Meinungen und Vorurteile sind laut Dawid die häufigsten Kooperationshindernisse. Erfahrungen aus der Schweiz und Deutschland zeigten aber, dass diese Vorurteile durch die gemeinsame Arbeit abgebaut würden. Dawid: "Man lernt die Arbeitsweise der anderen kennen, deren rechtliche Grundlagen und ihre Möglichkeiten." Eines der häufigsten Argumente gegen eine über den Dienstweg hinausgehende Zusammenarbeit der Behörden ist der Datenschutz. Dawid: "Man darf den Datenschutz nicht als Schild vorschieben. Die Arbeitskreise in Deutschland und der Schweiz zeigen, dass man damit umgehen kann." Auch das Dilemma Anzeigepflicht der Polizisten/Staatsanwälte contra Abwägung des Kindeswohls durch Jugendarbeiter lasse sich bewältigen. Dawid: "Es gibt in Fallbesprechungen die Möglichkeit der Anonymisierung."

Vernetzung spart Zeit

Vernetzung mache zu Beginn zwar Mehrarbeit, räumt Dawid ein, mittelfristig spare sie aber Zeit, "weil der Alltag besser funktioniert, vieles informell erledigt werden kann" . Die Studienautorinnen entwickelten aus der Befragung ein Basiskonzept für interdisziplinäre Arbeitskreise mit konkreten praktischen Anleitungen. Als eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Gruppe nennen sie deren Zusammensetzung: Nicht die Behördenchefs sollten sich treffen, sondern Menschen, die auch tatsächlich in der Opferarbeit tätig sind. Die Behörden müssten die Arbeitskreise aber unterstützen und tragen. Etwa durch die Anerkennung der Vernetzungstreffen als Teil der Arbeitszeit.

Theoretisch ist Kinderschutz den Österreichern wichtig: 86 Prozent der Eltern bezeichnen gewaltfreie Erziehung als ihr erzieherisches Ideal. Der Familienalltag sieht allerdings anders aus: Auch nach zwei Jahrzehnten Gewaltverbot sind Körperstrafen in 70 Prozent der Familien üblich. Die "g'sunde Watschn" gehört zum Erziehungsrepertoire. 16 Prozent der Eltern halten trotz Gewaltverbots das "Hinternversohlen" mit der Hand für legitim.

Das ergab eine 2009 vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend herausgegebene vergleichende Länderstudie. Körperliche Gewalt sei Ausdruck eines insgesamt repressiven Erziehungsstils, wer schlage, sanktioniere generell viel, heißt es in der Studie. Dass Gewalt in der Erziehung verboten ist, wissen übrigens nur 32 Prozent der Erziehungsberechtigten. (Jutta Berger/DER STANDARD, Printausgabe, 26.01.2011)