Die wahren atomaren Absichten des Iran zu beurteilen ist schwierig. Unterschiedliche Signale aus konkurrierenden Machtzentren helfen dabei genauso wenig wie die Kluft zwischen den scharfen öffentlichen Erklärungen iranischer Funktionäre und ihren häufig gemäßigten privaten Äußerungen. Zu oft hat der Iran auf legitime Bedenken anderer Länder zu seinem Atomprogramm mit Blockade und Provokation reagiert. Allerdings ist die Schlussfolgerung, der Iran sei fest entschlossen, Atomwaffen zu bauen oder die Fähigkeit zu erlangen, niedrig angereichertes Uran schnell in waffenfähiges umzuwandeln ("Break-out-Capability" ), übereilt.

Tatsächlich gibt es gute Gründe zu glauben, dass die Situation weniger alarmierend ist und besser kontrolliert werden kann. Zwar ist eine Verhandlungslösung, die für den Iran und die internationale Gemeinschaft akzeptabel wäre, ein immens schwieriges Unterfangen, sie ist aber möglich.

Man muss nicht lange nach den Gründen suchen, warum der Iran die Grenzen der internationalen Toleranz austestet: um die Demütigungen der Ära Mossadegh wiedergutzumachen; um der Region und der übrigen Welt sein überragendes technisches Können zu demonstrieren; um den westlichen Mächten klarzumachen, dass der Iran keine Kompromisse eingehen wird, was sein "Recht" auf die Anreicherung von Uran unter dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) anbelangt - das als Doppelmoral empfundene Vorgehen des Westens in den 1980er-Jahren lieferte den Iran der chemischen Kriegsführung Saddam Husseins aus.

Dagegen ist es nicht so leicht ersichtlich, warum der Iran kurz vor dem Bau von Atomwaffen, die er vielleicht bald produzieren kann, haltmachen sollte. Doch in meinen vielen inoffiziellen Gesprächen mit Funktionären im Iran und in anderen Ländern wurden mir fünf solche Gründe vorgetragen, und sie verdienen es, ernst genommen zu werden.

Der erste Grund ist die Angst davor, dass Israel die Existenz von ein oder zwei iranischen Bomben als Existenzbedrohung ansehen wird und einen militärischen Präventivangriff fordern könnte - mit oder ohne Unterstützung der USA, in jedem Fall aber mit Ressourcen, mit denen der Iran nicht mithalten kann. Die Iraner halten einen solchen Angriff für unwahrscheinlich, solange sie nicht tatsächlich Atomwaffen bauen.

Zweitens ist sehr wohl bekannt, dass Russland und China null Toleranz für eine iranische Atombombe hätten und den Spielraum, den sie dem Iran im Sicherheitsrat bisher eingeräumt haben, sofort einengen würden. Diese Warnung wurde nach der letzten Verhandlungsrunde über Sanktionen noch offensichtlicher.

Drittens ist der Iran daher überzeugt, dass der Besitz einer tatsächlichen Bombe zu untragbar harten Wirtschaftssanktionen führen würde. Die jetzigen Finanzsanktionen sind bereits einschneidend - auch die gegen die Revolutionsgarden und ihre massiven Wirtschaftsinteressen. Sie waren jedoch tolerierbar, um das "Recht auf Anreicherung" zu verteidigen, das dem Iran laut Atomwaffensperrvertrag zusteht. Sobald aber ein offensichtlicher Verstoß gegen den NPT vorläge, muss der Iran fest mit internationaler Beteiligung an härteren Sanktionen rechnen.

Viertens erkennen die Iraner, dass jede regionale Vorherrschaft, die mit Atomwaffen erkauft wurde, wahrscheinlich nur von kurzer Dauer sein wird. Zwar gibt es Zweifel an der Fähigkeit Ägyptens, Saudi-Arabiens oder der Türkei, schnell selbst Bomben zu bauen;und man kann annehmen, dass vor alle die USA auf diese Länder großen Druck ausüben würden. Doch in Teheran weiß man auch, dass arabisch-persische, sunnitisch-schiitische oder direktere regionale Machtbestrebungen ein atomares Wettrüsten unausweichlich machen würden.

Und schließlich gibt es auch einen religiösen Grund: Massenvernichtungswaffen verstoßen schlicht gegen die Gebote des Islam. Wahrscheinlich überzeugt diese Argumentation wenige Menschen im Westen, doch war sie in jedem Gespräch, das ich mit iranischen Funktionären geführt habe, sehr präsent. Das ist plausibel: Schließlich hat der Iran, als er vom Irak mit chemischen Waffen bombardiert wurde, dies nicht in gleicher Weise erwidert.

Gute Gründe für Misstrauen

Damit soll keinesfalls angedeutet werden, dass man den Absichten des Iran einfach trauen kann. Dafür gibt es zu viel Vergangenheit und zu viele fortbestehende Gründe für Misstrauen. Eine Übereinkunft über ein Ende der Sanktionen und der diplomatischen Isolation müsste mit intrusiver Überwachung, Inspektionen und Überprüfungsverfahren einhergehen, die nicht nur alle sensiblen Stadien des nuklearen Brennstoffzyklus umfassen, sondern auch alle verdächtigen Einrichtungen für Waffenkonstruktion und -bau. Die Staatengemeinschaft braucht die Gewissheit, dass es genug Vorlaufzeit geben würde - etwa zwölf Monate -, um reagieren zu können, falls Belege einer tatsächlichen Absicht zur Waffenherstellung auftauchen.

Es wird weiterhin Enttäuschungen geben wie im Vorjahr, als kreative Bemühungen von Mitgliedern des Sicherheitsrats (und unlängst von Brasilien und der Türkei), vertrauensbildende Lösungen zu finden, zurückgewiesen wurden. Doch gibt es ein solides, rationales Fundament, auf dem man aufbauen kann, um die Tür für Verhandlungen offen zu halten. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2011)