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Zeitungskiosk in Budapest. Presse und Internet sind von der Pflicht zur "ausgewogenen" Information ausgenommen.

Foto: Reuters/Szábo

Das neue ungarische Mediengesetz ist eigentlich ein ganzes Paket von Gesetzen, die erst in ihrem Zusammenwirken verstanden werden können. Das letzte - und umfangreichste davon - trat am 1. Jänner in Kraft. Es beinhaltet die Verfahrens- und Durchsetzungsregeln, darunter auch die ruinösen Geldstrafen, mit denen Medienunternehmen zur Einhaltung der Vorgaben des schon im Herbst beschlossenen inhaltsbezogenen Mediengesetzes - der sogenannten Medienverfassung - gezwungen werden.

Ein weiteres, früheres Gesetz regelt den Aufbau der Medienregulierungsbehörde NMHH und die Zusammensetzung des ihr beigeordneten Medienrates. Dieser ist ausschließlich mit Vertretern der Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Demokraten) besetzt. Die NMHH-Präsidentin und Medienratsvorsitzende Annamária Szalai, eine Fidesz-Medienpolitikerin, wurde von Ministerpräsident Viktor Orbán für neun Jahre ernannt.

Das Gesetzespaket löst das Mediengesetz von 1996 ab, das weitgehend nach deutschem Vorbild die Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernseh- und Radioanstalten regulierte.

Das neue Gesetzespaket geht über diese Zielsetzung weit hinaus. Ihm sind nämlich nun alle Medien des Landes unterworfen. Das Regulierungsinstrumentarium für die Rundfunkanstalten wird mit Blick auf deren besondere Stellung gerechtfertigt, etwa in Hinblick auf die begrenzt zur Verfügung stehenden Frequenzen. Nun wird es in gleicher Weise und ohne Not auf die gedruckte Presse, Internet-Portale und sogar Blogs - insofern sie Einkünfte erzielen - ausgeweitet. Das ist in EU-Europa einzigartig. Kritiker erblicken darin die Absicht, Presse und Internet mit neuen und scharfen Behördenvollmachten an die Leine zu nehmen. (Die Strafbestimmungen treten erst am 1. Juli, unmittelbar nach Ablauf der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft, in Kraft.)

Schwammig formuliert

Die inhaltlichen Vorgaben der "Medienverfassung" , die nun bei allen Medien durchzusetzen sind, sind sehr allgemein und schwammig formuliert. Minderheiten und selbst Mehrheiten dürfen "nicht beleidigt" werden, steht da wörtlich. Es besteht eine "Informationspflicht" , die zumindest von den "Medien in ihrer Gesamtheit" - was immer das auch heißen mag - zu erfüllen ist.

Fernseh- und Radioanstalten, auch die privaten, und On-Demand-Anbieter, nicht allerdings Presse und Internet, müssen "ausgewogen" berichten. Nur die Pflicht, "ausgewogen" zu berichten, ist bei Verletzung nicht mit Geldstrafen bedroht. Vielmehr gibt es eine "Entgegnungspflicht" , falls sich ein Medienkonsument beschwert und der Medienrat ihm Recht gibt. Das könnte durch eine einseitige Spruchpraxis des Rates leicht missbraucht werden - und der Sender wegen Ignorierens einer solchen Entgegnungsanordnung erst recht bestraft werden.

Andere Gerichte

Entscheidungen der NMHH und des Medienrates können zwar vor Gericht angefochten werden. Doch sind nunmehr die Verwaltungsgerichte zuständig, nicht mehr die auf Medienfälle spezialisierten Senate der Zivil- und Strafgerichte. Hinzu kommt, dass die Gerichte in Ungarn - worauf der Rechtssoziologe Zoltán Fleck hinwies - den Behörden selten widersprechen.

Schließlich scheint der gesamte Geist des Gesetzespakets von obrigkeitsstaatlichem Denken durchtränkt. Der Bürger hat nicht das Recht, sich zu informieren, sondern "informiert zu werden" (entsprechend der "Medienverfassung" ). Nicht der Staat wird in die Pflicht genommen, sondern die Medien.

In der Auffassung von Viktor Orbán stehen jene Medien, die nicht von seinen Geschäftsfreunden und - wie nunmehr die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten - von treuen Parteianhängern kontrolliert werden, offenbar unter Generalverdacht. Umgekehrt sehen die Macher der verbliebenen unabhängigen Medien das neue Recht, dem sie unterworfen sind, über keinen Verdacht erhaben. (Gregor Mayer aus Budapest/DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2011)