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Froh über die neue Währung: Andrus Ansip mit den ersten Eurobanknoten am frühen Morgen des 1. Jänner in Tallinn.

Foto: EPA/VALDA KALNINA

Standard: Seit 1. Jänner hat Estland den Euro, haben Sie die Einführung schon bereut?

Ansip: Es gab viele Bürger, die sich wegen der derzeitigen Turbulenzen um den Euro davor gefürchtet haben. Sie meinten, dieser Zeitpunkt sei nicht der beste, um der Eurozone beizutreten. Ich sage: Jeder Zeitpunkt ist für Estland bestens geeignet. Warum? Es wird unseren Handel stützen. 70 Prozent davon gehen in Euroländer, die restlichen 30 Prozent werden beinahe zur Gänze in Euro abgerechnet. Mit dem Euro werden wir zudem attraktiver für ausländische Direktinvestoren, vor allem Finnland und Schweden, die noch vor kurzem Zweifel an der estnischen Krone hatten. Und zuletzt: 90 Prozent der in Estland vergebenen Kredite sind Eurokredite, die Kreditnehmer sparen sich heute die Wechselkursgebühren und haben kein Abwertungsrisiko.

Standard: Gab es Umstellungsschwierigkeiten?

Ansip: Nein, bisher nicht. Die Mehrheit der Menschen ist stolz darauf, dass wir das geschafft haben. Denn der Euro hat uns irgendwie geholfen, auf die große Wirtschaftskrise vorbereitet zu sein. Wir haben in den guten Jahren unsere Staatsschulden zurückgezahlt. Wir haben derzeit nur 7,2 Prozent des BIPs an Schulden. Wir haben Strukturreformen gemacht, Arbeitsgesetze liberalisiert, das Pensionsalter und die Mehrwertsteuer erhöht. Und noch immer trauen uns die Bürger, weil sie sehen, wofür wir das alles gemacht haben.

Standard: Das größte Problem Estlands ist die Arbeitslosigkeit, die 2010 einen Spitzenwert von fast 15 Prozent erreichte. Wie wollen Sie sie senken?

Ansip: Letztes Jahr im März hatten wir 14,6 Prozent Arbeitslose, am Ende des Jahres waren es 10,2 Prozent. Die Rate fällt sehr schnell, aber das Niveau wird für eine Weile sehr hoch bleiben. Wir haben einige strukturelle Probleme in unserer Wirtschaft, eines davon war der große Hausbauboom. Der ist heute vorbei, und wir müssen für die Bauarbeiter neue Jobs finden. Wachstum wird uns dabei helfen, im letzten Quartal hatten wir ein Plus von fünf Prozent. Wir hoffen, dass es nicht nur durch Produktivitätszuwächse zustande kommt, sondern auch Jobs entstehen.

Standard: Es gab immer wieder Spannungen zwischen Tallinn und Moskau. Wie ist das Verhältnis denn heute?

Ansip: Unsere Geschäftsbeziehungen zu den Russen sind hervorragend. Die Exporte wachsen schnell, die Anzahl der russischen Touristen ebenso. Im politischen Bereich gibt es dagegen noch einigen Raum für Verbesserungen. Was das Grenzabkommen betrifft, haben wir dieses in Tallinn ratifiziert. Nun ist es an den Russen, dies ebenso zu tun.

Standard: Wie kommen die Esten und Russen nach den Ausschreitungen von 2007 miteinander aus?

Ansip: Wir können nicht von einer estnischen und russischen Gemeinde dort sprechen. Die Russischsprechenden in Estland sind sehr verschieden: Manche haben Russland vor 300 Jahren verlassen. Manche sind in den 1950ern gekommen, als es in Moskau starken Antisemitismus gab. Und die Nachkommen der russischen Militärs sind ebenso sozial sehr verschieden situiert. Die meisten sind gute estnische Patrioten. Und fest steht, dass es in unserem Land keine Unterstützung für russisch- nationalistische Parteien gibt. (Christoph Prantner, STANDARD-Printausgabe, 24.01.2011)