Die "Istanbul-Magie" hat also nicht funktioniert. Besonders viel haben sich Washington und die EU von den Atomgesprächen mit dem Iran am Bosporus ohnehin nicht erwartet. Das Scheitern der zweiten Gesprächsrunde innerhalb von zwei Monaten war absehbar, die Schlappe für die türkische Außenpolitik nicht weniger. Doch nun rätselt die türkische Regierung, was sie mit diesem Ergebnis anfangen soll. Der osmanische Charme hat ganz offensichtlich niemanden verzaubert außer den Gastgeber selbst.

Ahmet Davutoglu, der rührige Außenminister der Türkei, wollte die Gespräche über das Atomprogramm des Iran aus dem drögen Genf an den Bosporus holen, um Bewegung in die Diplomatie zu bringen. Und um den neuen Anspruch seines Landes auf eine internationale Rolle sichtbar zu machen. Eine schöne Kulisse ersetzt jedoch nicht den Zwang zu realistischen Verhandlungen.

Die Geschlossenheit der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder und Deutschlands gegenüber den Forderungen des Iran, die Catherine Ashton als Außenpolitikbeauftragte der EU in Istanbul formulierte, hat in Wahrheit den Spielraum der Türkei nur verkleinert. Welchen Wert die selbst zugeschriebene Rolle als Vermittler im Atomstreit haben soll, ist nach diesem Wochenende nicht klarer geworden.

Es sei nun an den Parteien selbst, untereinander einen Ausgleich zu finden, ließ Davutoglu nach den fruchtlosen Reden im Cigaran-Palast am Bosporus erklären. Doch das ist eine Haltung, die sich unter den derzeitigen Umständen schwer vertreten lässt. Schon gar nicht für ein Nato-Mitglied. Die UN-Sanktionen sind in Kraft, und Teheran müht sich weiter, in seinen Atomanlagen die Anreicherung von Uran voranzutreiben. Kann sich die Türkei da einfach auf die Seitenlinie zurückziehen?

Sie tut es ohnehin nicht. Ankaras Politik gegenüber Teheran ist doppelbödig: öffentlich das Atomprogramm des Iran kleinreden, doch im privaten Kontakt mit westlichen Diplomaten Misstrauen äußern; sich an der Idee vom neuen Friedensmacher zwischen Sarajewo und Bishkek berauschen, aber in stiller Rivalität mit dem Nachbarn Iran leben. Teheran ist eine Herausforderung für die türkische Regierung: Im Irak, Libanon, in Syrien oder im Gazastreifen - überall ringt die Türkei mit dem Iran um Einfluss.

Außenpolitische Entwicklungen erwischen die Türkei oft auf dem falschen Fuß. Das zeigt den Abstand zwischen eigener Wahrnehmung und tatsächlichen Kräfteverhältnissen: das schnelle Ende des türkisch-brasilianischen Kompromissvorschlags im Mai 2010 zum Urantausch mit dem Iran, den die USA und die anderen ständigen Sicherheitsratsmitglieder dann einfach zurückwiesen, hat Ankara überrascht; den Angriff der israelischen Armee auf die Gaza-Hilfsflotte im selben Monat hat sich die türkische Regierung nicht vorstellen können; mit dem Druck des Gas- und Öllieferanten Aserbaidschan nach der Unterzeichnung der Züricher Protokolle und dem Versuch der Normalisierung mit Armenien 2009 hat sie nicht gerechnet.

So einfach geht die Politik der "Null Probleme mit den Nachbarn" also nicht auf. Ahmet Davutoglu, der Geschichtsprofessor im Ministeramt, verkauft sie als noch so eine der größten Neuerungen seit der Erfindung von Salami in Scheiben. Falsch ist diese Politik deshalb nicht. Augenmaß braucht sie und Klarheit über den eigenen Weg, den die Türkei gehen will. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 23.01.2011)