Bild nicht mehr verfügbar.

Karl-Heinz Grasser: Ein rotes Tuch für Tausende, ja Millionen Österreicher

APA-FOTO: HDS

 

Für Tausende, ja Millionen von Österreichern ist Karl-Heinz Grasser ein rotes Tuch. Sie sehen ihn als arroganten Blender, der im Bündnis mit dem Boulevard seine Popularität und Macht dazu genutzt hat, um falsche Erfolge vorzutäuschen und dabei seine Freunde und sich selbst zu bereichern.   

Tatsächlich dürfte Grassers wehleidiges Interview im ORF-Mittagjournal am Samstag wenig dazu beigetragen haben, seine Sympathiewerte zu heben. Aber die Selbstsicherheit, mit der Grasser sich als völlig unschuldig bezeichnet, bestärkt viele in der Erwartung, dass diese Symbolfigur schwarz-blauer Korruption strafrechtlich ungeschoren davon kommen wird.

Und dies wäre für sie der endgültige Beweis, dass Österreichs Justiz durch und durch korrumpiert ist. Erst wenn die Handschellen bei ihm klicken, wäre das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder hergestellt.  

Aber kann man tatsächlich davon ausgehen, dass Grasser von der Justiz geschont wird? Die Fülle an Strafverfahren, die derzeit anhängig sind, deutet nicht auf Inaktivität hin. Dass die Untersuchungen so lange dauern, schon eher. Aber es ist zu erwarten, dass Staatsanwälte bei einem ehemaligen Minister besonders sorgfältig und vorsichtig vorgehen, bevor sie Anklage erheben.

Politisch hat Grasser keinen Schutzpatron mehr. Auch die ÖVP hat nichts davon, wenn die Anklagen gegen ihn unter einer ÖVP-nahen Justizministerin fallengelassen werden. Vielleicht fürchten sie, dass Grasser ÖVP-Granden belasten kann, aber dafür gibt es bisher keinerlei konkrete Anhaltspunkte.

Kann Grasser der Justiz entkommen, weil er so geschickt und umsichtige vorgegangen ist, um alle Spuren, die zu ihm führen, zu verwischen? Alles, was man von Grasser – auch dank der im Falter veröffentlichten Telefonprotokolle – weiß, deutet nicht auf ein besonderes Geschick und ausgeprägte Vorsicht hin. Im Gegenteil. Wenn Grasser sich tatsächlich der Untreue und des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht hat, dann wird man dies ihm wahrscheinlich nachweisen können – und auch nachweisen werden.

Allerdings gibt es eine weitere Möglichkeit: Grasser mag sämtliche politischen und moralischen Normen unserer Demokratie verletzt haben, ohne strafrechtlich relevante Delikte begangen zu haben. Wäre er Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens, dann säße er vielleicht schon wegen vielfacher Untreue neben Ex-Bawag-Chef Helmut Elsner in Haft. Aber für Politiker gelten im Strafgesetzbuch andere, weniger strenge Maßstäbe.

Weder kann er für Fehlverhalten seiner Mitarbeiter und Berater verantwortlich gemacht werden, noch jetzt dafür belangt werden, zum mutmaßlich geschobenen Immobiliendeal rund um dem Linzer Terminal Tower den Abgeordneten einst die Unwahrheit gesagt zu haben.   

Auch die Vorwürfe seines Ex-Mitarbeiters Michael Ramprecht, Grasser habe Lehman Brothers das Buwog-Geschäft geben wollen, und des blauen Kabinettschefs Willibald Berner, der von einem "Masterplan" der Korruption spricht, gegen ihn beruhen im Augenblick noch auf Hörensagen.  

Bei der umstrittenen Stiftung in Liechtenstein ist großangelegte Steuerhinterziehung eher unwahrscheinlich. Das dort angelegte Geld hat er sich rechtlich redlich verdient – moralisch war seine Rolle bei Meinl Power eine andere Sache – und die Stiftung den Behörden anfangs offengelegt. Dort in Folge Schwarzgeld zu verstecken wäre in seiner Situation schon besonders dämlich. Es mag sein, dass die Finanz Verstöße gegen die Steuergesetze nachweist, aber ob es für ein Strafverfahren reicht, ist eine andere Frage.

Grasser juristische Unschuldsvermutung wird durch die Persönlichkeit des Ex-Ministers gestärkt. Korrupte Politiker fallen in zwei Kategorien: die Räuber und die Narzissen. Die Räuber planen ganz genau, wie sie ihre Funktion für die eigene Tasche ausnützen können und wandeln Macht in Millionen, ja sogar Milliarden um.  Wenn Wladimir Putin heute als reichster Mann Russlands gilt, dann ist das kein Zufall.

Die Narzissen aber wollen geliebt werden – vom Volk und allen, die sie umgeben. Sie verführen die Massen, aber wollen auch niemanden vergrämen.  Menschen in ihrem Umfeld nützen dies aus und bereichern sich unverschämt, ohne dass der Politiker selbst dabei viel mitschneiden muss.

Grasser dürfte dieser Typ sein. Seine eigene Korrumpiertheit wirkte meist ziemlich opportunistisch – ein kleiner Deal mit Tommy Hilfinger, ein Geschenk der Industriellenvereinigung für eine peinlich-egozentrische Homepage, ein geschenkter Urlaub auf den Seychellen oder auf der Jacht von Julius Meinl.

Der Mann hat keinen moralischen Kompass und kein Schamgefühl – "ein Flachwurzler", wie Jörg Haider einst treffend sagte. Aber vieles deutet darauf hin, dass die großen Gelder nicht an ihn, sondern wirklich an seine Freunde geflossen sind.

Natürlich war und ist Grasser ein Nutznießer dieser Geschäfte. Mit dem Immobilienmakler Ernst Karl Plech, der Schlüsselfigur in allen Affären, gründete er ein gemeinsames Unternehmen. Aber auch dies ist an sich noch nicht verboten.

Grasser, ein schwacher Schönling, der nicht nein sagen kann: Selbst die Art, wie seine Ehe zustande kam, weist Züge davon auf. Fiona Swarovski ist eine Frau, die in ihrem Leben sich das genommen hat, was sie wollte. Als sie KHG wollte, bekam sie ihn. Der Verführer konnte dieser willensstarken Verführung nicht widerstehen.

Und wenn sein Spezi Walter Meischberger anruft und im Rat bittet, dann kann Grasser nicht einfach auflegen und sondern muss etwas daher faseln, was wie Beihilfe klingt - obwohl er mit ihm eigentlich nichts mehr zu tun haben sollte. Ein Narziss aber kann nicht anders.

Es würde mich daher nicht überraschen, dass die Justiz die „smoking gun“ nicht finden wird, und Grasser entweder gar nicht angeklagt oder nicht verurteilt wird. Wäre dies himmelschreiende Ungerechtigkeit?

Wenn man sich überlegt, was Grasser gerne geworden wäre – Bundeskanzler, führender Investmentbanker – dann ist er schon jetzt ziemlich gestraft.  In der Innenpolitik und in der europäischen Finanzszene ist er spätestens seit seinen halbnackten Vanity-Fair-Fotos erledigt, seine großen Geschäftspläne sind geplatzt, und sein luxuriöser Lebensunterhalt wird vor allem von seiner Frau bestritten. Prinzgemahl und Kabarettfigur – das ist der frühere Hoffnungsträger heute.

Und dennoch würde man sich wünschen, dass die Justiz die Ära Grasser auf eine Weise verarbeitet, die keinen Zweifel an der Unschuld – oder auch Schuld – des Verdächtigen lässt und nicht in der Öffentlichkeit und den Medien der Eindruck übrigbleibt, dass ein gut vernetzter Schaumschläger in dieser Republik mit allem davon kommt, bloß weil man ihm nichts nachweisen kann.