Diese Kolumne dient immer einem guten Zweck. Heute liefere ich zum Beispiel den Nachweis, dass die österreichische Jugend noch zu diskutieren versteht. Bevor ich aber mit dem Schreiben beginne, muss ich mich bei allen Lesern mit den Namen Franz und Karl entschuldigen. Es ist nicht persönlich gemeint. Ich berichte nur die Wahrheit.

Vor ein paar Tagen fuhr ich mit der Straßenbahn (Linie 43). Ich fuhr nicht alleine. Mit mir fuhren gefühlte fünfhundert männliche Schüler, alle vierzehn bis fünfzehn. Solchen Jugendansammlungen begegnet man häufig in den Wiener Straßenbahnen. Ich vermute, dass Menschen unter zwanzig generell nur im Hunderterverbund Straßenbahn fahren. Manchmal trifft man auf dreihundert quirlige Kindergartenzwerge, manchmal auf vierhundert entfesselte Volksschüler und manchmal auf fünfhundert Gymnasiasten im Grenzbereich von Unter- und Oberstufe. Straßenbahnen sind die letzten Jugend-Inseln im grauen Wiener Geriatrie-Meer.

In meiner nächsten Nähe standen vier Knaben: Der erste hatte Akne, der zweite war übergewichtig, der dritte trug eine Kapuze, der vierte war stark und schön. Der Einfachheit halber nenne ich die vier Pickel, Fatty, Kapuze und Adonis.

Die Knaben diskutierten. Gegenstand der Diskussion war: Welcher der beiden Namen Franz und Karl ist depperter? Fragen Sie mich nicht, warum sie die Namen überhaupt für deppert hielten und warum sie über eine Abstufung des entsprechenden Deppertseins diskutierten; aber sie taten es. "Franz ist ein urdepperter Name", sagte Pickel. "Karl ist auch urdeppert", sagte Kapuze. Fatty sagte: "Karl ist noch viel depperter als Franz." "Nein", sagte Adonis, "Franz ist depperter." Eine Widerrede, die Fatty ärgerte. "Na, Karl ist depperter", sagte er. Pickel schlug sich auf seine Seite: "Ja, Karl ist voll depperter."

Hier wurde es echt spannend. Aber leider konnte die gehaltvolle Diskussion nicht beendet werden, weil die Straßenbahn abrupt bremste, wodurch Pickel, Fatty, Kapuze und Adonis aneinanderstießen, was eine heftige Rangelei mit halb scherz-, halb ernsthaften Boxhieben zur Folge hatte. Daher blieb die Franz-KarlFrage vorerst ungeklärt. Vielleicht kann man sie wenigstens im Fernsehen klären, in einem Club 2 zum Beispiel. Und Pickel, Fatty, Kapuze und Adonis sollten unbedingt mitdiskutieren. (Christoph Winder /  DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.1.2011)