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Exotisches fehlt nicht bei der Grünen Messe: Australien bietet Känguru-Bratwurst an.

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Die Bauernhöfe müssten "gläsern" werden, sagte die deutsche Agrarministerin Ilse Aigner am Freitag. Hier im Bild verkostet sie auf der "Grünen Woche" marokkanischen Honig.

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Miriam Kalff kommt selbst mit Mikrofon kaum gegen die Geräuschkulisse an. Auf dem Podium, keine zwanzig Meter von ihr entfernt, wird mit ungeheurem Getöse schaugekocht und dies auf Großbildschirme überall in der Halle 3.2 dargeboten. Dabei interessiert das, was Frau Kalff vorzustellen hat, auch viele Besucher:

Die schwedische Firma De Laval stellt hier ihr "freiwilliges Melksystem" vor. Freiwillig deshalb, weil die Kühe ganz von allein in das Stahlgestänge mit etwa eineinhalb Metern Breite und drei Metern Länge trotten. Sie, die Kühe, wissen nämlich: Wenn sie da reingehen, gibt's Kraftfutter. Beim Futtern wird die Kuh gleichzeitig maschinell gemolken. Und anschließend wird die Zitze mit Wasser und Druckluft umspült und dadurch gleichzeitig gereinigt. Das dürfte angenehm sein, weil "das ist das, was normalerweise das Kalb macht. Dies stimuliert die Milchproduktion", sagt Kalff. Mindestens 90.000 kostet so eine automatische Melkmaschine, die 60 bis 70 Kühe versorgen kann.

Gläserne Bauernhöfe

Die Halle 3.2 hat "Erlebnis Bauernhof" zum Thema. Die deutsche Messeleitung der weltgrößten Landwirtschaftsschau hat dieses Motto tierisch ernst genommen. Um 13 Uhr werden Ultraschalluntersuchungen an den Kühen feilgeboten. Ein Tierarzt überprüft, ob "an Gebärmutter und Eierstöcken" Veränderungen festzustellen sind - wie an der Schautafel ("Kühe bei der Öffentlichkeitsarbeit") vermerkt wird.

Ob die deutsche Agrarministerin Ilse Aigner bei ihrer Eröffnungsrede dies meinte, als sie davon sprach, dass die Bauernhöfe "gläsern" werden müssen, wenn sie das vom Dioxinskandal zerrüttete Vertrauen der Konsumenten wiedergewinnen wollen? Wann immer Agrarpolitiker auf der Messe das Wort erheben, sprechen sie davon, dass die Verantwortlichen bestraft gehören und Mechanismen gefunden werden müssen, damit derartige Skandale nicht vorkommen können. Seitdem dioxinverseuchtes Schweinefleisch entdeckt wurde, befindet sich der Preis ungebremst im Sinkflug.

Österreichs Agrarminister Nikolaus Berlakovich befürchtet, dass Billigfleisch nach Österreich hereinschwappt und es den heimischen Bauern unmöglich macht, gute Preise zu erzielen. Beim nächsten EU-Agrarministerrat wird deshalb beraten, ob, natürlich mit EU-Mitteln gestützt, eine EU-weite Schweinefleisch-Lagerhaltung aufgebaut werden soll. Auf dass die Preise wieder halbwegs stabil werden mögen.

Ungarn verschärfte Import-Bestimmungen

Solche Schritte setzt die EU-Kommission immer dann, wenn ihr trotz Agrarpolitik die Preise und/oder die produzierten Mengen aus dem Ruder laufen, wie zuletzt bei der Milch. Reagiert hat jedenfalls die ungarische Regierung: Sie verschärfte wegen des Dioxinskandals kurzfristig die Einfuhrbestimmungen für Schweinefleisch aus Deutschland. "Das ist in der EU nicht erlaubt", schäumt Paola Testori Coggi von der Generaldirektion Gesundheit und Konsumentenschutz. "Das Fleisch ist ja schließlich nicht gesundheitsschädlich."

Gesundheitsschädlich oder nicht: Die Mengen an Fleisch, die während der Grünen Woche dargeboten und verzehrt werden, sind beachtlich. Eine Scheu vor überbordendem Konsum ist bei der Messe, die auch "Oktoberfest der Berliner genannt wird", nicht zu merken. Den Gipfel der Exotik dürfte Ruanda einnehmen: Dort wird zum Verkosten von gegrilltem Krokodil geladen. Australien lädt zu Känguru-Bratwurst.

Trotz Entwicklung hin zu einer riesigen Fressschau zeigt die Buntheit des Angebots, dass selbst in Zeiten der Globalisierung viele verschiedene Produkte möglich sind. Von einer Lehre aus dem Dioxinskandal ist aber nicht viel zu merken: Eine Berliner Supermarktkette wirbt gerade mit einem Billigsthuhn Marke "Bauernglück" um nur 2,99 Euro.  (Johanna Ruzicka aus Berlin, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.1.2011)