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Eklat beim Auftritt von Ungarns Premier Viktor Orbán im Straßburger EU-Parlament: Nachdem die Grünen-Fraktion das neue Mediengesetz angeprangert hatte (re. hinten die Österreicherin Ulrike Lunacek), warnte Orbán vor einer "Beleidigung" des ungarischen Volkes.

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Nach ruhigem Anfang offensiv: Viktor Orbán.

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Nicht nur mit seinem neuen Mediengesetz, auch mit dem Teppich, der anlässlich seiner Präsidentschaft im Gebäude des EU-Rats in Brüssel ausgelegt wurde, sorgt Budapest für Diskussionen: Abgebildet ist unter anderem das historische Großungarn.

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Es war bereits kurz vor 13 Uhr, als die Diskussion über das Programm der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft und das umstrittene neue Mediengesetz der Regierung sich dem Ende zuneigte. Dabei gab es viel Kritik an demokratiepolitischen Mängeln dieses Gesetzes. Und auch einige harte Wortmeldungen, wie jene des SPÖ-Abgeordneten Jörg Leichtfried, der den ungarischen Premier und EU-Ratsvorsitzenden Viktor Orbán fragte, "wie man sich fühlt, wenn man als jemand gilt, der sein Land weg von der Demokratie und hin zum Totalitarismus führt".

Die Bemerkung sorgte für Zwischenrufe, fiel sonst aber nicht weiter auf. Trügerisch. Alles in allem genommen war der Meinungsaustausch mit Orbán im Plenum über zwei Stunden relativ ruhig und sachlich verlaufen. Das lag zum einen an Orbán selbst: Er überraschte die kritischen Abgeordneten der Linken und Grünen in seinem Eingangsstatement mit ambitionierten und extrem ehrgeizigen programmatischen Vorhaben - er will unbedingt eine EU-Roma-Strategie umsetzen und die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien abschließen (siehe Bericht Kroatien-Beitritt bis Juli fixieren). Zum anderen hatte er sich in seinem Eingangsstatement punkto Mediengesetz versöhnlich gezeigt, Änderungen angekündigt, wenn die EU-Kommission das verlange. Der eine oder andere Abgeordnete mag also kurz vor eins schon ans Essen gedacht haben. Die Sache Orbán schien relativ glimpflich gelaufen.

"Hugo Chávez von Europa"

SPE-Fraktionschef Martin Schulz hatte zwar von einer "sehr ernsten Situation" gesprochen, aber an Orbán nur appelliert, "von selber" tätig zu werden, damit der EU-Vorsitz nicht belastet werde. Selbst der wortmächtige Grüne Daniel Cohn-Bendit sah Orbán zwar auf dem Weg zum "Hugo Chávez von Europa", würdigte den Premier aber in dessen Rolle als Kämpfer für Freiheit und Demokratie 1989, ermunterte ihn, ein Mediengesetz zu machen, "das europäischen Werten entspricht".

Die Sache schien also gelaufen. Bis Parlamentspräsident Jerzy Buzek kurz vor eins zum letzten Akt schritt, der zum Eklat führte, als er Orbán ums Schlusswort bat: "Sie haben vier Minuten!"

Die folgenden zwölf Minuten und 13 Sekunden, die Orbán sich dann Zeit nahm, könnten Geschichte machen. Er könne sich "nur wundern", hob er an, dass "so viele respektable Menschen von falschen Tatsachen ausgehen, mit zum Teil beleidigenden Äußerungen". Fast alles, was zum Mediengesetz behauptet werde, stimme nicht. Das Gegenteil sei der Fall, er, Orbán, habe nur ein Mediengesetz von 1986 aus kommunistischer Zeit korrigiert. Schon gar nicht könne er verstehen, wenn gesagt werde, er stelle die Demokratie in Ungarn infrage, "das akzeptiere ich nicht". Man könne hier Kritik üben, "aber man darf nicht ein Volk beleidigen", donnert Orbán in den Saal, denn "wir haben wirklich in einer Diktatur gelebt". Buzek will ihn unterbrechen, aber Orbán setzt die Angriffe fort: "Es ist Unsinn, wenn sie sagen, dass Ungarn auf dem Weg in die Diktatur ist." Oder: "Ich bin zum Kampf bereit." Schulz und Cohn-Bendit melden sich, weisen zurück, Kritik am Gesetz mit Kritik an den Ungarn zu verwechseln. Buzek bricht ab, schließt die Sitzung. Ein Eklat. (Thomas Mayer aus Straßburg/DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2011)