Spitzentöne aus dem Geist der Oper: Netrebko.

Foto: Metropolitan Opera

Wien - Einmal die Netrebko hören und, nun ja, vielleicht nicht unbedingt gleich sterben. Aber zumindest im Geiste niederknien vor der berühmten Stimme und erschaudern vor der Gewalt der Emotionen: Das mochte für einen Teil der Besucher die hauptsächliche Motivation gewesen sein, am Dienstag ins Konzerthaus zu pilgern.

Wer entsprechende Erwartungen hegte, könnte enttäuscht gewesen sein. Die Diva stand an diesem Abend musikalisch gar nicht so sehr im Mittelpunkt wie zum Beispiel die Hauptperson in einem Musikdrama. Und vor der Pause hieß es für Netrebko-Fans ohnehin zunächst abwarten, zumal vom Wiener Kammerorchester und seinem Dirigenten Frédéric Chaslin Mozarts "Linzer" Symphonie vorausgeschickt wurde.

Für manche bedeutete das Stück wohl nicht nur wegen der merkwürdigen Mischung aus Bravheit und Esprit, mit der es gespielt wurde, nichts als eine Verlängerung der Wartezeit auf den Star. Dessen Erscheinen wurde durch den Applaus zwischen den Sätzen nochmals ein wenig hinausgezögert.

Auch der Hauptprogrammpunkt wird wohl so manche Erwartungen enttäuscht haben: Rossinis Stabat mater ist zwar als religiöses Werk aus dem Geist der Oper geschrieben, gab Anna Netrebko aber nur stellenweise die Möglichkeit, sich zu profilieren. In einer Stunde bietet es für den Sopran nur eine Soloarie mit zwei hohen Cs, dazu einige Passagen, in denen er die Mitstreiter im Gesangsquartett überstrahlt.

Gegenüber der herben Mezzosopranistin Ruxandra Donose, dem angestrengten Tenor Colin Lee und dem mit einem mächtigen, doch wenig flexiblen Organ ausgestatteten Bassisten John Relyea war es für Netrebko andererseits auch wieder leicht zu glänzen.

Dabei gab sie ihrer schwerer gewordenen Stimme deutlich mehr Pathos als, sagen wir, in Sakralmusik sonst üblich. Und sie griff zu Bühnengesten, die zum Inhalt des Gesungenen kontrastierten. Das Orchester lieferte keinen Grund für größere Reklamationen (außer man würde etwa auf den Hörnern in der Cavatina herumreiten wollen). Der Jubel am Ende war freilich weit impulsiver als die ganze Aufführung. (Daniel Ender, DER STANDARD - Printausgabe, 20. Jänner 2011)