Beirut/Kairo - Gruppen von jungen Männern, die sich in verschiedenen Stadtteilen zusammenscharten, schürten am Dienstag in Beirut die Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen. Als die Sicherheitskräfte auftauchten, zerstreuten sie sich.

Beobachter rechneten damit, dass die schiitische Hisbollah ihre Anhänger auf die Straße schicken wird, nachdem das UN-Sondergericht zur Untersuchung des Hariri-Mordes am Montagabend die Anklageschrift dem Untersuchungsrichter zugestellt hat. Der Inhalt ist vorläufig noch geheim, aber die Hisbollah hat selbst bekanntgegeben, dass eigene Mitglieder in Zusammenhang mit der Autobombe gebracht würden, deren Explosion im Februar 2005 den mehrfachen Expremier Rafik Hariri und 22 weitere Personen tötete.

Warnung vor Spekulationen

Der Ankläger des Tribunals hat am Dienstag vor Spekulationen gewarnt. Daniel Bellemare erklärte im holländischen Leidschendam, die Vertraulichkeit sei wichtig, weil er nicht als gegeben annehmen könne, dass der Untersuchungsrichter die Anklagen bestätigen wird. Tut er das, wird das Dokument veröffentlicht und allfällige Haftbefehle ausgesprochen. Es wird erwartet, dass Daniel Fransen für diese Prüfung sechs bis zehn Wochen benötigt. Der eigentliche Prozess könnte dann in vier bis sechs Monaten beginnen.

Die Anklagen des Tribunals seien ein wichtiger Schritt, um die Zeit der Straffreiheit für Morde im Libanon zu beenden, erklärte US-Präsident Barack Obama. UN-Chef Ban Ki-moon appellierte erneut an die Libanesen, das Gericht nicht zu politisieren.

Dies ist aber längst geschehen. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hat am Sonntag wieder davor gewarnt, dass man sich gegen das Gericht verteidigen werde, das als Instrument der USA und Israels betrachtet wird. Niemand dürfe die Würde und den Ruf der Hisbollah verletzen, sagte er in einer TV-Rede. Die Hisbollah verlangt weiter, dass die libanesische Regierung ihre Unterstützung des Tribunals zurückzieht.

Die "Verteidigung" hatte Nasrallah vor einer Woche mit dem Sturz der Regierung von Saad Hariri - des Sohn des Ermordeten Rafik Hariri - bereits eingeleitet. Die Hisbollah und ihre Verbündeten zogen die eigenen zehn Minister aus dem Kabinett zurück - ein elfter, formell unabhängiger Minister schloss sich an - und wissen lassen, dass sie Hariri nicht mehr als Premier akzeptieren würden. Seit Drusenchef Wald Jumblatt auf ihre Seite geschwenkt ist, gibt es im Parlament eine Mehrheit für diese Position. Präsident Michel Sleimane hat die Konsultationen für eine neue Regierungsbildung auf nächste Woche verschoben. (Astrid Frefel/DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2011)