Spezialfarben etwa auf Lärmschutzwänden könnten in Zukunft dabei helfen, die Luft von Umweltgiften zu säubern.

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Umweltgifte und Keime in der Luft können möglicherweise in Zukunft ohne großen technischen Aufwand oder Filter unschädlich gemacht werden: Nanowissenschaftler an der Universität Kassel arbeiten derzeit an der Entwickung neuartiger Farben, die dabei helfen sollen, die Luft von Schadstoffen zu befreien. Die Spezial-Mixturen aus winzigen Farbstoffmolekülen und Titandioxid-Nanopartikeln könnten dabei ganz einfach als luftreinigender Anstrich auf Schallschutzwänden, Leitplanken und Brücken entlang der Straßen aufgebracht werden.

Trotz moderner Katalysatortechnik stoßen Autos und vor allem Diesel-Lkw auf Europas Straßen jährlich noch immer mehrere Million Tonnen Stickoxide aus. Diese Umweltgifte bedrohen besonders die Gesundheit von Kindern und älteren Menschen. Zudem sind sie auch an der Schädigung der Ozonschicht beteiligt.

Rüdiger Faust und seine Mitarbeiter vom Institut für Chemie und dem Center for Interdisciplinary Nanostructure Science and Technology (CINSaT) arbeiten seit etwa einem Jahr an den reinigenden Spezialfarben. Grundlage ist ein chemischer Prozess, die Photokatalyse, den sich die Industrie bereits in einer Reihe von marktgängigen Produkten zunutze gemacht hat: Selbstreinigende Fenster, Dachpfannen und Autorückspiegel beispielsweise werden mit Nanopartikeln aus Titandioxid beschichtet. Die Teilchen sind dabei mehr als tausendmal kleiner als das menschliche Haar. Trifft Licht auf die Beschichtung, so entsteht reaktiver Sauerstoff, der Schmutz auf der Oberfläche durch Oxidation zersetzt.

Oxidation auch bei langwelligem Licht

Eine erste Etappe auf dem Weg zur Wunderfarbe haben Faust und sein Team bereits bewältigen können. Den Wissenschafter ist es gelungen, ein Hybridmaterial aus miteinander verzahnten Farbstoffmolekülen und Titandioxidteilchen in Nanogröße zu entwickeln. Damit wollen sie eine wichtige Hürde auf dem Weg zu einer effizienten Luftreinigung mit Nanopartikeln nehmen, denn die Zersetzung von Schmutz oder Schadstoffen durch Titandioxid funktioniert eigentlich nur, wenn energiereiches, ultraviolettes Licht auf die Partikel trifft und den Oxidationsprozess in Gang bringt. Im Schatten, im trüben Licht des Winters oder in geschlossenen Räumen ist jedoch zu wenig ultraviolettes Licht vorhanden.

Die von den Kasseler Chemikern modifizierten Farbstoffe sollen nun bewirken, dass der Oxidationsprozess auch dann in Gang kommt, wenn weniger energiereiches, langwelliges Licht auf die Titandioxidpartikel trifft. Die Forscher experimentieren dabei mit Phthalocyaninen, Farbstoffe in den Tönen Grün und Blau, wie sie auch aus Tinten und Autolacken bekannt sind.

"Farbstoffe dieses Typs sind in der Lage, die vom Licht aufgenommene Energie für den reinigenden Oxidationsprozess einzusetzen", erklärt Faust. Die Herausforderung bestand darin, maßgeschneiderte Farbstoffmoleküle herzustellen, erklärt der Nanostrukturwissenschaftler Andreas Winzenburg. Denn die meisten Farbstoffe seien in Kombination mit Titandioxidpartikeln nicht in der Lage, die aufgenommene Lichtenergie für den Reinigungsprozess an den Luftsauerstoff abzugeben. Die Kasseler Forscher arbeiten daran, den Wirkungsgrad des Energieumsatzes ihrer Farbstoffe weiter zu optimieren. Ziel ist eine Rezeptur, mit der die reinigenden Farben in industriellem Maßstab gefertigt werden können.

Erster Praxistest an der Autobahn

Mitte dieses Jahres wird die Reinigungskraft von Titandioxid im Rahmen des HelioClean-Projekts einem ersten größeren Praxistest unterzogen. In Zusammenarbeit mit der deutschen Bundesanstalt für Straßenwesen erhalten Schallschutzwände entlang eines 200 Meter langen Autobahnabschnitts eine Beschichtung aus modifizierten Photokatalysatoren. Dort sollen die Forschungsmaterialien die in den Abgasen reichlich vorhandenen Stickoxide vernichten. Die Titandioxid-Partikel haben die Fähigkeit, durch Photokatalyse Stickoxid in Nitrat umzuwandeln. Dieser Stoff - so die Erwartung der Forscher - würde anschließend mit dem Regenwasser einfach abgewaschen. Der Versuch soll zeigen, ob ein großflächiger Einsatz der neuen Farbe zur Luftreinhaltung sinnvoll sein kann.

Faust sieht neben der Luftreinhaltung entlang von Verkehrsstraßen weitere Einsatzmöglichkeiten für das Hybridmaterial: So könnte ein Anstrich mit der Spezialfarbe in Operationsräumen dafür sorgen, dass die Belastung durch gefährliche Keime vermindert wird. Und in Wohnungen könnte die Farbe die Raumluft von Formaldehyd befreien, das aus manchen Möbeln ausdünstet und die Gesundheit gefährdet. (red)