Wien - Nach dem Umsturz in Tunesien wackelt auch der Sessel des autoritären ägyptischen Langzeit-Präsidenten Hosni Mubarak (82). "Es ist unausweichlich. Der Wandel muss kommen", sagt einer seiner potenziellen Herausforderer, der ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO / IAEA), Mohamed ElBaradei (68). Er will das ägyptische Regime mit einem Boykott der Präsidentenwahl im September und friedlichen Demonstrationen in die Knie zwingen.

"Wir versuchen es mit friedlichen Mitteln", betont ElBaradei. Mit seinen Unterstützern sammelt er derzeit Unterschriften für eine Petition, in der die Demokratisierung des Landes gefordert wird. Eine Million Ägypter hätten diesen Aufruf schon unterschrieben. Kommen noch mehr dazu, "dann haben wir die Legitimität, im Namen jener zu sprechen, die unterzeichnet haben". Je mehr Leute diesen Schritt machen, desto größer werde der Druck auf das Regime. "Dann nehmen wir ihm seine Legitimation". Er hoffe zwar, dass sich das Regime noch vor den Präsidentenwahlen ändere. "Passiert das nicht, werde ich zu einem Boykott aufrufen, um das Regime als das zu entlarven, was es ist: Ein autoritäres Ein-Parteien-Regime."

Hoffnung auf junge Ägypter

ElBaradei baut dabei vor allem auf die 60 Prozent Ägypter unter 30 Jahren, "die keine Hoffnung und keine Zukunft, aber auch keine Hintergedanken" hätten, anders als viele ältere, die sich entweder mit dem Regime arrangiert hätten oder es fürchteten. In Ägypten herrsche nämlich nach fast sechs Jahrzehnten autoritärer Herrschaft "eine Kultur der Angst". "Die Menschen fürchten sich und haben allen Grund dazu, weil sie verhaftet und gefoltert werden."

Bereit zu kandidieren

Grundsätzlich sei er bereit, für das Präsidentenamt seines Heimatlandes zu kandidieren. Allerdings nur, "wenn es sich um freie und faire Wahlen handelt". "Unter den gegenwärtigen Bedingungen würde ich nie antreten, ich dürfte ja nicht einmal kandidieren", spielte ElBaradei auf die Tatsache an, dass das vom Regime kontrollierte Parlament das Vorschlagsrecht für Präsidentschaftskandidaten hat. "Das ist eine Farce. In einem Land mit 85 Millionen Menschen gibt es gerade einmal fünf Personen, die bei den Präsidentenwahlen antreten dürfen, und von vier kennt man nicht einmal den Namen."

Der Spitzendiplomat will Ägypten von Grund auf verändern. "Wir müssen ein neues Haus bauen, in dem alle Menschen die gleichen Rechte und Pflichten haben", tritt ElBaradei insbesondere für mehr soziale Gerechtigkeit ein. "42 Prozent der Ägypter leben mit weniger als einem Dollar am Tag, 28 Prozent sind Analphabeten. Das sagt genug aus über den Stand der Dinge. Es handelt sich um ein Land auf dem Weg nach unten statt nach oben", kritisiert der Wahl-Wiener.

Mubarak kein Bollwerk gegen den islamischen Extremismus

Nichts anfangen kann ElBaradei mit der Argumentation, autoritäre Machthaber wie Mubarak seien Bollwerke gegen den islamischen Extremismus. "Das ist die Geschichte, die man dem Westen aufgetischt hat und leider hat er sie geglaubt. Aber das stimmt nicht." So werde etwa die verbotene ägyptische Muslim-Bruderschaft "fälschlicherweise als extremistische Gruppe dargestellt". Sie habe niemals Gewalt eingesetzt und sei eine religiös konservative Gruppe, "vergleichbar mit den Evangelikalen in den USA oder den ultraorthodoxen Juden", sagte der liberale Ägypter.

Auch müsse sich der Westen fragen, "warum die Menschen zu Extremisten werden", verwies ElBaradei auf die Armut in der Region. "Wenn man Menschen wie menschliche Wesen behandelt, werden sie sich auch so verhalten wie menschliche Wesen. Wenn man ihnen die Gelegenheit gibt, wie anständige Menschen zu leben, sie ermächtigt und ihnen Anteil am politischen System gibt, dann wird der Einfluss der Extremisten schwinden", betont der Diplomat. Auch der Anschlag auf die koptische Kirche von Alexandria sei in diesem Kontext zu sehen. "Die Menschen identifizieren sich nicht mehr mit dem Staat, daher suchen sie nach etwas anderem." Die religiöse Gewalt sei ein Symptom dafür, "dass die ägyptische Gesellschaft zerfällt". (APA)