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Wirklichkeit oder Illusion? Kunst oder Kitsch? Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft? Krumau ist alles zugleich.

Foto: Archiv Český Krumlov

Český Krumlov / Wien - Ein neuer Fenstersturz liege in der Luft, meint Stanislav Jungwirth und spielt damit auf die aktuelle politische Lage in der Tschechischen Republik an: Korruptionsaffären auch in der neuen Mitte-rechts-Regierung, die doch mit dem Versprechen angetreten ist, für saubere Verhältnisse zu sorgen.

Dabei käme ja schon die Parlamentswahl vom vergangenen Mai einem symbolischen vierten Prager Fenstersturz gleich. Karl Schwarzenberg, einstiger Gottseibeiuns der tschechischen Kommunisten, löste ebendiese mit seiner konservativ-liberalen Partei Top09 als drittstärkste Kraft ab und ist ein weiteres Mal tschechischer Außenminister.

Nicht als solcher, sondern als nomineller Herzog zu Krumau wohnte der (Titular-)Fürst zu Schwarzenberg vor wenigen Tagen der Eröffnung des neuen Burgmuseums im südböhmischen Český Krumlov (Krumau) bei. Es war quasi eine Rückkehr. Denn die Schwarzenbergs waren Ende des 19. Jahrhunderts in ihr Schloss Frauenberg (Hluboká) umgezogen. Der Fürstin sei es an der krummen Au - die dreifache Moldauschlinge gab dem Ort den Namen - zu kalt gewesen, heißt es. Karl Schwarzenberg nannte jetzt einen anderen Grund: "Krumau stinkt" , habe ihm seine Tante gesagt. Sie meinte die Abwässer der nahen Papierfabrik.

Die ist auch heute noch in Betrieb, inzwischen aber mit Kläranlage. Daher stinkt's schon lange nicht mehr an der krummen Au. Und auch die Forellen seien inzwischen zurückgekehrt, berichtet Fremdenführer Jungwirth beim Spaziergang am Fluss.

Wir blicken hinauf zur "kleinen Burg" , in der das neue, ganzjährig geöffnete Museum untergebracht ist. Dort oben erfolgte Anfang des 17. Jahrhunderts der Krumauer Fenstersturz. Don Julius Caesar d'Austria, unehelicher ältester Sohn Kaiser Rudolfs II., dessen Geisteskrankheit sich auf den Sprössling in potenzierter Form übertragen hatte, warf seine Geliebte Markéta aus dem Fenster. Sie überlebte den Sturz, aber nicht die nächste Begegnung. Am Faschingsmontag 1608 wurde sie von Julius zerstückelt. Der selbst bereits schwer umnachtete Vater ließ den Filius im Schloss gefangen setzen, wo dieser 1609 starb.

Spannungsdreieck

Solche Schauergeschichten sind Teil, wenn auch nicht Essenz des Krumauer Mythos. Dass ein Ort mit dieser topo- und geografi-schen Lage sich auf so einzigartige Weise entfalten musste, erscheint im Rückblick logisch und erklärt dennoch längst nicht alles. Aus der Trutzburg des Geschlechts der Witigonen wurde der Sitz der berühmtesten und einflussreichsten Adelshäuser Böhmens, der Rosenbergs, Eggenbergs und Schwarzenbergs. Sie alle nutzten den Standortvorteil, wie man heute sagen würde: im Zentrum des politischen und wirtschaftlichen Spannungsdreiecks zwischen Landshut (alte Hauptstadt Bayerns), Prag und Wien.

"Krumau braucht für seine Prosperität den offenen Raum", sagt Ivan Slavík, Direktor des Regionalmuseums von Český Krumlov, in dem ein großartiges Keramikmodell der Stadt steht. Seit etwa 1850 sind Schloss und Stadt baulich, mit ganz wenigen Ausnahmen, unverändert. Daran hat auch die Phase eines geschlossenen Raumes ihren Anteil - wie so vieles andere nur ein scheinbares Paradoxon: Während der KP- Herrschaft von 1948 bis 1989 stand Český Krumlov praktisch unter einem Glassturz. Die Kommunisten hatten mit dem kulturellen Symbol des Klassenfeindes nichts am Hut. So blieb die Substanz, trotz einzelner Verfallserscheinungen (mit durchaus morbidem Charme), erhalten. Mit der Wende 1989 begann, was heute viele die zweite Blüte Krumaus nach dem Mittelalter nennen.

Eine Blüte, die mit rund einer Million Besuchern pro Jahr freilich auch Fragen aufwirft. Initiativen wie das neue Burgmuseum sind Versuche, die Folgen des Massentourismus zu mildern und die Saison auszuweiten. Krumau-Liebhaber, mehr aber noch solche, die es werden wollen, sind dafür sicher dankbar. Wer die Stadt an einem stillen nebeligen Wintertag erlebt, wird zusätzliche Attraktionen kaum brauchen.

Es ist die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart, von Realität und Illusion, das unbekümmerte Nebeneinander von Kunst und Kitsch, was den unvergleichlichen Reiz dieses Ortes ausmacht. Wüssten sie nicht um seine historische Bedeutung und den Standort Bescheid: Würden Kunstkenner den bunten runden Turm, der über der Stadt thront, als herausragendes Beispiel der Renaissancearchitektur sehen? Könnte er nicht auch in einem Disneyland stehen?

Gleichzeitigkeit, Nebeneinander, Widersprüchlichkeit: Das Schiele Art Centrum in der früheren Stadtbrauerei ist ein weiteres Beispiel dafür. Egon Schiele, 1890 in Krumau geboren, malte rund 40 Bilder von seiner Heimatstadt (Tote Stadt) und wollte sich hier niederlassen. Nach drei Monaten musste er wegziehen. Mit seiner verstörenden Kunst hatte er die Krumauer gegen sich aufgebracht.

Oder das Fotoatelier Josef Seidel. Dessen gleichnamiger Gründer hatte die ganze Monarchie bereist, dann in Wien gelernt und 1905 das Unternehmen in Krumau gegründet. Sein Sohn und Nachfolger wurde 1952 von den Kommunisten enteignet. Im Archiv erinnern unzählige Fotos an das Nebeneinander von Deutschen und Tschechen, ehe es zu nationalistischer Konfrontation, Krieg und Vertreibung kam.

2011 feiert Český Krumlov mit einer Reihe von Veranstaltungen das Rosenberg-Jahr (siehe Weblinks). Am 6. November 1611 starb mit dem Tod von Petr Vok das Adelsgeschlecht nach fast 400 Jahren aus. Memento mori - Gedenke, dass du sterblich bist - lautete bezeichnenderweise sein Motto. Besser zu Krumau passt wohl das seines Vorgängers: Festina lente - Eile mit Weile. Der Hauptplatz mit dem Rathaus, an dem die Wappen Böhmens und der drei Adelsfamilien prangen, die Krumau geprägt haben, hieß einmal Hitler-Platz und später Gottwald-Platz (nach dem tschechoslowakischen KP-Chef). Heute heißt er Platz der Gemeinsamkeit, im Monat Mai aber Platz der Liebe.

Stanislav Jungwirth, Tscheche mit polnischem Vor- und deutschem Nachnamen, verbindet seine kulturhistorischen Exkurse mit einer ironisch-trockenen gesellschaftspolitischen Analyse: "Heute frönen die Tschechen horizontalen Werten: Geld, Bier, Eishockey." Hinter ihm ragt der Schlossturm in den Himmel, als Bestätigung und Widerlegung zugleich. (Josef Kirchengast/DER STANDARD/Printausgabe, 18.1.2011)