Wien - Die dritte Diskussion, moderiert von STANDARD-Kolumnist Gerfried Sperl, schloss nahtlos an die zweite an: Es ging um den Begriff Avantgarde und all das, was in diesen projiziert wird. Die Männer ließen sich samt und sonders in die weichen Fauteuils fallen, die Frauen durften auf den harten Stühlen Platz nehmen. Man konnte es aber auch anders sehen: Die Männer lümmelten ein wenig; die Frauen bewahrten Haltung.

Wolf D. Prix, Mitbegründer von Coop Himmelb(l)au, stieß zu Beginn Bruno Kreisky ein wenig von dem Sockel, auf den er zuvor gehoben worden war: Der Sonnenkönig sei nicht verantwortlich für all das Avantgardistische, das in den 60er-Jahren entstanden war. Er selbst, meinte Prix, zähle sich noch immer zur Avantgarde. Und er sei überzeugt, dass sich in der Architektur demnächst wieder Radikales ändern werde.

Die meisten am Podium vertraten hingegen die Ansicht, dass die Avantgarde längst Geschichte sei. Sie hatte den Anspruch, so der Philosoph Konrad Paul Liessmann, Vorhut gesellschaftlicher Entwicklungen zu sein. Längst hätten andere Bereiche nachgezogen - etwa die Werbung, in die u. a. die konkrete Poesie Eingang fand: "Sie hat am meisten von der Avantgarde profitiert."

Das Scheitern der Avantgarde sei nur eine logische Konsequenz. Denn das Diktum des Fortschritts verlange, dass man hinter Errungenschaften nicht zurückfallen dürfe. Sprich. Peter Bürger habe das Scheitern der Avantgarde bereits 1974 prophezeiht: Die Kunst würde sich wieder auf ihre ästhetischen Felder zurückziehen.

Veronica Kaup-Hasler, die Intendantin des Festivals Steirischer Herbst, ergänzte, dass es ja nicht nur eine "linke", sondern auch eine "rechte" Avantgarde gab: Die Futuristen seien die Wegbereiter des Faschismus gewesen. Den Begriff Avantgarde solle man daher streichen, meinte Liessmann. Und der Komponist Clemens Gadenstätter präzisierte, dass man heute unter Avantgarde das in der Kunst Unbekannte verstehen würde. Man solle den Begriff daher einfach streichen. Zumal es ohnedies obsolet geworden sei, messianisch vorauszugehen.

Auch die Architektin Marie-Therese Harnoncourt hat mit der Begrifflichkeit Avantgarde ihre Schwierigkeiten: Sie will lieber von neuen Konzepten sprechen. Das sieht Kaup-Hasler sehr ähnlich: Natürlich würden auch heute die Künstler versuchen, etwas Neues, Einzigartiges zu schaffen.

Mit der Dramatikerin Gerhild Steinbuch saß auch eine Vertreterin der jungen, suchenden Generation am Podium: "Schöne Geschichten zu schreiben", sei nicht ihr Ziel; sie arbeite mit den Strukturen der Sprache.

Kaup-Hasler ergänzte, dass es ihr Ziel sei, "relevante Kunstereignisse" zu schaffen. Da die alten Konzepte der Provokation nicht mehr funktionieren, müsse man neue, andere, zum Beispiel subversive Strategien entwickeln.

Matthias Hartmann, der Hausherr, versucht ähnliches: Er will auch Kunstproduktion abseits der Trampelpfade präsentieren, indem er beispielsweise Jan Lauwers oder das Nature Theatre of Oklahoma ans Burgtheater holt. Es dem Publikum "nicht bequem machen" - das verstehe man, so Hartmann, heute unter "Avantgarde". Er spreche sich daher für eine Renaissance des Begriffs aus. Clemens Gadenstätter ließ sich von der Argumentation aber nicht überzeugen. Denn das sei bloß "Labeling". (nik, trenk, DER STANDARD - Printausgabe, 18. Jänner 2011)