Frisch gekürte Golden-Globe-Gewinnerin: Nathalie Portman geht in "Black Swan" als Ballerina Nina Sayers an physische und psychische Grenzen - und darüber hinaus.

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Darren Aronofsky (41) sorgte bereits mit seinem Debüt "Pi" (1998) für Aufsehen. Sein vierter Spielfilm "The Wrestler" (2008) mit Mickey Rourke gewann u. a. einen Goldenen Löwen.

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Mit Bert Rebhandl sprach der US-Regisseur über energetische Kameratänze und kreative Manipulation.

Wien – Bei einer Produktion von Schwanensee in New York ist die Hauptrolle neu zu vergeben. Die schüchterne Nina Sayers (Natalie Portman) bekommt den Zuschlag, damit beginnt aber erst das Drama, das Darren Aronofsky (Pi, The Wrestler) in Black Swan mit allen Registern des Genrekinos zwischen Horror und Thriller erzählt – eine schillernde Reflexion auf sexuelle und künstlerische Identität, in der ein gebrochener Zehennagel noch die geringste unter den Versehrungen ist.

STANDARD: Natalie Portman hat jetzt einen Golden Globe bekommen; stimmt es, dass Sie schon vor zehn Jahren mit ihr über das Projekt gesprochen haben?

Aronofsky: Ja, ich erinnere mich noch gut, wir trafen einander am Times Square in New York. Sie ging noch zur Uni. Ich mochte damals schon die Idee, einen Horrorfilm in der Ballettwelt zu drehen. Es sollte um Rollenbilder und Verlust der Identität gehen – jemand taucht auf, der dir sehr ähnlich ist, und tritt auf eine bedrohliche Weise an deine Stelle. Nur Schwanensee kannte ich damals noch gar nicht. Als ich darauf stieß, ergab das den Aha-Moment, in dem alles plötzlich zusammenpasste.

STANDARD: Aber eine Vorliebe für Ballett brachten Sie mit?

Aronofsky: Am Anfang wusste ich gar nicht viel über Ballett, ich wollte einfach nur zeigen, wie hart es ist. Und davon haben wir eine Menge gedreht, mehr, als wir letztendlich verwenden konnten – das wäre zu anstößig geworden.

STANDARD: Ist es nicht auch ein merkwürdiges kulturelles System?

Aronofsky: Zweifellos. Persönlich denke ich, Ballett war eine Art Pornografie für Reiche im 18. Jahrhundert. Man sieht Körper in engen Kostümen, das ist eine Ästhetik, die reicht sehr weit zurück. Und nun ist daraus eine unglaubliche Kunst geworden, die aber immer noch sehr viel mit Sexualität zu tun hat, die aber auch in ein System der Hochkultur eingezwängt ist, aus dem wir sie ein wenig herausholen.

STANDARD: Gibt es Vorbilder aus dem Genrekino, die Sie bei "Black Swan" inspiriert haben?

Aronofsky: Ein paar Namen kann ich da durchaus nennen: Polanski, Cronenberg, Lynch. Es geht um eine Spannung, die eher atmosphärisch ist und nicht so stark auf erzählerischen Pointen beruht. Es sind ja vorwiegend Vorstellungen, die uns bedrängen, und nicht so sehr andere Menschen.

STANDARD: Das Ballett "Schwanensee" ist von einer nicht gerade subtilen Psychologie geprägt. Kommt das der Thrillerform entgegen?

Aronofsky: Dieser Gegensatz zwischen dem schwarzen und dem weißen Schwan ist eine Veranschaulichung des Übergangs, an dem mir vor allem gelegen war: eine Metamorphose, ein krisenhafter Prozess.

STANDARD: Wie kam es zur Ästhetik von "Black Swan", eine fiebrige Darstellungsform, die einem keine festen Anhaltspunkte lässt?

Aronofsky: Ich habe schon bei The Wrestler stark mit der Handkamera gearbeitet. Bei Black Swan waren wir anfangs nervös, ein Horrorfilm ist wohl noch nie in diesem Maß als eine Art Ballett mit der Handkamera erzählt worden. Aber dieses Tanzen mit den Figuren ergibt eine starke Energie.

STANDARD: Schon die erste Szene macht das sehr anschaulich.

Aronofsky: Wir haben dafür nur drei Stunden gebraucht, um vier Uhr früh. Es war die letzte Tanzszene, die uns noch fehlte, wir hatten mehr oder weniger kein Geld mehr – und auch keine richtigen Ideen. Wir gingen einfach auf diese offene Fläche und legten los. Ich habe das früher schon gesagt: Im Grunde braucht man nur einen Raum, zwei Schauspieler und einen Scheinwerfer für eine Geschichte. Und mehrere Kameras – ich nehme immer eine Menge auf.

STANDARD: Wie haben Sie Vincent Cassel die Rolle des Choreografen erklärt – ein Dompteur und Verführer, auch eine Klischeefigur?

Aronofsky: Wir wussten, dass es sich um eine Repertoirefigur handelt. Er ist ein Manipulator, aber vor allem, darauf lege ich Wert, ein Künstler. Das nimmt seinen Aktionen die moralische Spitze. Er wirkt grausam, aber er will letztendlich das künstlerisch Beste aus Nina Sayers herausholen.

STANDARD: Wie hat sich der Erfolg von "The Wrestler" ausgewirkt?

Aronofsky: Es war einfach vollkommen unerwartet, dass der so gut funktioniert hat. Insofern war das wirklich ein Wendepunkt. Es lehrt wieder einmal, dass man gar keine andere Wahl hat, als an das zu glauben, was einem selbst plausibel scheint, auch wenn es andere zuerst abwegig finden. Und so kann man einen Film wie Black Swan machen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD – Printausgabe, 18. Jänner 2011)