Paris - Drei Tage nach der Flucht des tunesischen Diktators Zine El Abidine Ben Ali soll Tunesien an diesem Montag eine neue Übergangsregierung bekommen. Die der bisherigen Regierung nahestehenden Parteien sollen daran nicht beteiligt werden, sagte Maya Jribi, Generalsekretärin der PDP (Demokratische Fortschrittspartei), am Sonntag in Tunis. Zuvor hatte es ein Treffen mehrerer Parteien unter Vorsitz von Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi gegeben. Neben Vertretern der drei bisherigen Oppositionsparteien sollen auch unabhängige Persönlichkeiten ins Kabinett kommen.

Die drei Parteien hätten sich für eine Amnestie aller politischen Häftlinge ausgesprochen, sagte Jribi. Die kommenden Wahlen sollen von einem unabhängigen Komitee und internationalen Beobachtern kontrolliert werden. Bei den Parteien handelt es sich um Ettajdid, PDP und FDTL (Demokratisches Forum für Arbeit und Freiheiten). Wann und wo das neue Kabinett vorgestellt werden soll, war zunächst nicht bekannt.

Angriff auf Präsidentenpalast

Die tunesische Armee hat indessen nach Angaben eines Sicherheitsvertreters am Sonntag einen Angriff auf den Präsidentenpalast am Stadtrand von Tunis gestartet. In dem Gebäude hätten sich Mitglieder der Leibgarde des gestürzten Präsidenten verschanzt, berichtete der Vertreter am Abend. Ein Bewohner berichtete von Schüssen in der Nähe des Palasts. Die Armee habe die Umgebung weiträumig abgeriegelt. Nach Angaben einer weiteren Bewohnerin kreisten Hubschrauber über dem Gebäude.

Das Staatsfernsehen berichtete, die Armee sei von Polizisten zur Hilfe gerufen worden, die vor den Schüssen der Leibgarde in eine nahe gelegene Wirtschaftshochschule geflüchtet seien.

Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi kündigte an, alle unbarmherzig zu verfolgen, die das Land destabilisieren wollten. Armee, Polizei und Nationalgarde hätten bereits eine große Zahl "Krimineller" festgenommen, die versuchten, das Land ins Chaos zu stürzen, sagte er in einem Telefonat mit dem Staatsfernsehen. Über die Identität der Festgenommenen wollte er sich zunächst nicht äußern. Es sei Sache der Justiz, diese festzustellen. Es wird befürchtet, dass Mitglieder von Ben Alis Präsidentengarde gezielt Panik und Chaos verbreiten wollen, um eine Rückkehr des langjährigen Machthabers aus dem saudi-arabischen Exil vorzubereiten.

Die USA haben am Sonntag Vorwürfe zurückgewiesen, wonach von Wikileaks veröffentlichte US-Geheimdokumente die Unruhen in Tunesien mitverursacht hätten. In den Dokumenten von US-Diplomaten, die auf der Internetseite von Wikileaks zu sehen waren, wird eine wuchernde Korruption in dem nordafrikanischen Land angedeutet.

US-Außenministerin Hillary Clinton hat in einem Telefonat mit ihrem tunesischen Amtskollegen Kamel Morjane auf eine baldige Wiederherstellung der Ordnung in dem Krisenland gedrängt. Die USA stünden "in einer Zeit eines bedeutenden Übergangs" an der Seite des tunesischen Volkes, betonte sie am Sonntag nach Angaben ihres Ministeriums. Die Rückkehr zur Ordnung müsse auf "verantwortliche Weise" geschehen. Zugleich mahnte Clinton Fortschritte in Richtung "glaubhafter demokratischer Wahlen" an.

Ein während der gewaltsamen Proteste in Tunesien verletzter deutsch-französischer Pressefotograf ist offenbar doch noch am Leben. Sein Zustand sei "kritisch aber stabil", teilte das französische Konsulat am Sonntagabend telefonisch aus Tunis mit.

Der Mitarbeiter der Fotoagentur EPA, Lucas Mebrouk Dolega, war während der Proteste am vergangenen Freitag von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen und schwer verletzt worden. Am Sonntag dann verkündete der Pariser EPA-Leiter Horacio Villalobos den Tod des 32-Jährigen. Die Information wurde kurz darauf von einem Vertreter des französischen Konsulats in Tunis bestätigt. (APA/dpa)