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André Rettberg muss sich ab Montag vor Gericht verantworten.

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Nach dem Börsegang führte der Weg von Libro rasch in den Konkurs.

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Mit mehr als 380 Millionen Euro Passiva ist die Libro-Pleite nach Konsum und Maculan zum damaligen Zeitpunkt das drittgrößte Insolvenzverfahren Österreichs. Der Ex-Chef der Buch-, Papier- und Musikhandelskette, André Rettberg, steht ab kommendem Montag vor Gericht. Ihm werden schwerer Betrug, Bilanzfälschung und Untreue vorgeworfen. Mitangeklagt sind der ehemalige Finanzvorstand Johann Knöbl, Ex-Aufsichtsratsvorsitzender Kurt Stiassny, dessen Stellvertreter Christian Nowotny sowie der Wirtschaftsprüfer Bernhard Huppmann. Bei einem Schudspruch drohen ihnen bis zu zehn Jahren Haft.

Im Mai 2006 wurde Rettberg wegen versuchter betrügerischer Krida zu drei Jahren Haft, davon acht Monate unbedingt, verurteilt. Warum er bis heute noch keinen Tag hinter Gittern verbracht hat, was es mit seiner einjährigen "Flucht" auf sich hat, wovon er heute lebt und wo sich André Rettberg aufhält, beantwortet sein Anwalt Adrian Hollaender im derStandard.at-Interview.

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derStandard.at: Fast neun Jahre nach der Libro-Pleite steht André Rettberg vor Gericht.

Adrian Hollaender: Es stellt sich selbstverständlich die Frage, ob das Gebot einer angemessenen Verfahrensdauer verletzt ist. Ich habe daher beim Europäischen Gerichtshof für André Rettberg eine Menschenrechtsbeschwerde eingebracht. Fünf Jahre wären ein angemessener Zeitrahmen für Vorverfahren, Hauptverfahren und Rechtsmittelverfahren. Geht die Beschwerde durch, kann das die Verwirkung des Strafanspruchs zur Folge haben oder sich im Falle einer Verurteilung zumindest deutlich positiv in der Strafbemessung niederschlagen.

derStandard.at: Wieso zieht sich das Vorverfahren so lange?

Hollaender: Das liegt ausschließlich an den Behörden, die hier nicht allzu zügig gearbeitet haben. Sachverständige wurden bestellt, einzelne wieder abbestellt, neue bestellt und so weiter. Die Libro-Unterlagen seitens meines Mandanten haben von Anfang an, also spätestens im Jahr 2003, zur Verfügung gestanden. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Justiz bereits entscheiden können, ob Anklage erhoben wird oder nicht. Selbst Gutachten hätte man weitaus zügiger bereitstellen können, als das in den letzten Jahren geschehen ist.

derStandard.at: Herr Rettberg, gebürtiger Holländer, war mehr als ein Jahr auf der Flucht und kehrte erst im Juni 2005 wieder nach Österreich zurück.

Hollaender: Zu den Einvernahmen ist er immer erschienen. Ihn trifft daher keine Schuld an der langen Vorverfahrensdauer. Außerdem würde ich nicht von "Flucht", sondern von Auslandsabwesenheit sprechen.

derStandard.at: Wo befindet sich Herr Rettberg im Moment?

Hollaender: Er wird sich wohl intensiv auf seinen Prozess vorbereiten...

derStandard.at: ...in Österreich?

Hollaender: Meines Wissens ist er in Österreich.

derStandard.at: Die Vorwürfe gegen Rettberg wiegen schwer: Bilanzfälschung, schwerer Betrug, Untreue.

Hollaender: Ich nehme das Menschenrechtliche wahr, die Hauptverhandlung wird der Kollege Sporn führen. Zum Inhaltlichen lässt sich jedenfalls sagen: Herr Rettberg steht auf dem Standpunkt, dass er sich nichts zu Schulden kommen gelassen hat. Von ihm selbst gingen keine strafbaren Handlungen aus, er hatte ein qualifiziertes Beraterteam, auf das er sich verlassen hat. Es gab einen Vorstand, den Aufsichtsrat und Rettberg selbst war ja nie Wirtschaftsexperte, sondern kam aus dem Buchhandel. Er ging selbstverständlich davon aus, dass es bei den wirtschaftlichen Abläufen bis hin zum Börsegang rechtens zugegangen ist.

derStandard.at: Nun wird ihm aber unter anderem vorgeworfen, im Jahr 2001 fast 26 Millionen Euro vom Lion-Vermögen (Libro-Internet-Tochter, Anm.) zu Libro verschoben hat. Das riecht schon deutlich nach Wirtschaftskriminalität.

Hollaender: Das spielt im jetzigen Verfahren keine Rolle. Diesbezüglich gibt es eine gesonderte Anzeige seitens der WAZ (war an Lion.cc beteiligt, Anm.), die sich derzeit erst in der Ermittlungsphase befindet.

derStandard.at: Zwei ehemalige Anwälte Rettbergs wurden 2004 verhaftet und schuldig gesprochen. Sie sollen Rettberg geholfen haben, neun Millionen Euro vor den Gläubigerbanken in Sicherheit, also ins Ausland, zu bringen. Sehen so Experten aus?

Hollaender: Ich habe vorhin von den Wirtschaftsberatern im Libro-Komplex gesprochen. Das von Ihnen Erwähnte betrifft seine Privat-Aktivitäten. Auch hier gibt es neue Entwicklungen: Herr Rettberg hat eine Wiederaufnahme des Verfahrens wegen betrügerischer Krida beantragt. 

derStandard.at: Die Forderungen gegen Herrn Rettberg liegen bei 5,38 Millionen Euro.

Hollaender: Diese Zahlen kann ich nicht bestätigen. Ich vertrete Herrn Rettberg in Menschenrechtsfragen. Strafrechtliche Belange vertritt mein Kollege.

derStandard.at: Herr Rettberg soll im Zeitraum Sommer 2001 bis Jänner 2004 eine 4,4 Millionen Euro schwere Firmenbeteiligung verheimlicht haben.

Hollaender: In diesem Fall wurde er bereits rechtskräftig zu acht Monaten unbedingter Haft verurteilt. Herr Rettberg hat in der Zwischenzeit eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Eine Entscheidung steht noch aus.

derStandard.at: Warum war Herr Rettberg bis heute noch keinen einzigen Tag in Haft?

Hollaender: Durch den Antrag der Wiederaufnahme wurde eine Hemmung des Strafvollzugs verfügt.

derStandard.at: Wovon lebt Herr Rettberg heute?

Hollaender: Er hat versucht, im Immobilienbereich Fuß zu fassen.

derStandard.at: Das klingt nicht nach Erfolg.

Hollaender: Es ist auch denkbar schwierig. Ganz gleich, welchen Job er annehmen würde - er ist mit dem Kopf immer beim Libro-Prozess.

derStandard.at: Von irgendetwas muss er ja leben.

Hollaender: Da bin ich überfragt, ich bin schließlich nicht sein Wirtschaftsberater.

derStandard.at: Erst kürzlich beantragte Herr Rettberg eine Fußfessel. Er meinte, er wolle damit verhindern, in Handschellen vor Gericht zu erscheinen.

Hollaender: Herr Rettberg wurde schon vor Jahren Haftaufschub gewährt, es gibt also keinen Grund für Handschellen. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 14.1.2011)