Während der Normalösterreicher, der von den Früchten seiner Arbeit zu leben versucht, wenn er eine hat, und dabei an ein "höheres Wesen" glaubt, wie die diplomatische Formulierung lautet, eher vergeblich nach Zeichen neuer Freiheit im Lande der Transparenzdatenbank Ausschau hält, wissen sich andere vor solchen gar nicht zu retten. Der Kardinal von Wien hat dieser Tage gleich 87.393 Zeichen neuer Freiheit agnosziert und jedes einzelne davon als schmerzhaft erlitten. Noch immer, wenn von der Freiheit eines Christenmenschen die Rede war, hat sich die Begeisterung der alleinseligmachenden katholischen Kirche in Grenzen gehalten. Allmählich dämmert es auch in ihren höheren Dienstklassen, dass diese Grenzen nicht mehr dicht zu halten sind. Frühere Machtmittel von überzeugender Wirkung stehen nicht mehr zu Gebote und zu neuen Angeboten kann man sich nicht einmal durchringen, um die geschäftsschädigenden Aktivitäten zahlreicher Mitarbeiter vergessen zu machen.

Dabei fehlt es in diesem Lande durchaus nicht an Formen religiöser Inbrunst, die sich trefflich mit Zeichen neuer Freiheit kombinieren lassen. Kaum einer macht von dieser neuen Freiheit so inspiriert Gebrauch wie Karl-Heinz Grasser, seit er seinen Wechsel aus der konfessionellen Enge der ÖVP in die diskrete Weite Liechtensteins vollzogen hat. Weshalb es zwar nicht verwunderlich ist, dass die Inbrunst, mit der er sich dem supersauberen Anlegen supersauer verdienter Millionen hingibt, keinem Stift, sondern seiner Stiftung zugute kommt, umso verwunderlicher hingegen, dass ihn heimische Staatsanwälte deswegen gleich religiös verfolgen. Es kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass es sich bei ihm, vergleichbar den Urchristen ad bestias, um den Märtyrer einer sadistischen Justiz handelt, die sich partout nicht dazu aufraffen kann, ihn endlich von seinen Qualen zu erlösen. Ihm bleibt nur noch: "Ich fordere eine Sondereinheit, die meinen Fall in zwei Monaten klärt."

Ja, "schlechter als ich wird kein Bürger behandelt", klagt er zu Recht - er, dessen Supersauberkeit nur noch von dem Drang übertroffen wird, christliche Nächstenliebe zu üben. Niemals würde er selber Genussscheine an einer Bank zeichnen, wenn er damit eine verelendete Schwiegermutter um das Almosen von 260.000 Euro brächte. Zufällig die seine, aber ist die Familie nicht heilig? Und ist es nicht ein ganz besonderes Zeichen neuer Freiheit, dass er sogar das 88-jährige Mütterlein eines befreundeten Managers in den Genuss brachte?

Gutes tun soll man nicht vor anderen, es reicht, wenn der Herr es sieht, da hat einem auch die Finanz nicht über die Schulter zu schauen. Daher hat er seine Stiftung schweren Herzens nicht in Österreich angelegt, sondern dort, wo Diskretion ein Synonym für Gottgefälligkeit ist. Gern wird er es nicht getan haben, dafür gibt es sicher Trauzeugen. Wen wundert's, dass die auch von der Justiz verfolgt werden? Aber ohne die Stiftung hätte er nie eine Unterkunft für seine obdachlose Ehefrau gefunden. Und die eigene Frau plus Kinder nicht von der Herbergssuche zu erlösen - das kann man einem Christen mit Sinn für die Heiligkeit der Familie nicht zumuten. (Günter Traxler, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 14.1.2010)