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Wikileaks-Gründer Julian Assange am Dienstag auf dem Weg in das scharf gesicherte Londoner Gerichtsgebäude.

Foto: Reuters/Paul Hackett

Das Verfahren über die Auslieferung des Wikileaks-Chefs nach Schweden wurde offiziell eröffnet. Der Chef des unter Geldmangel leidenden Aufdeckerportals kündigte an, das Tempo der Veröffentlichungen von US-Depeschen zu steigern.

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London/Wien - Julian Assange war aufgeräumter Stimmung als er vor dem Belmarsh Gerichtsgebäude in London eintraf. Bianca Jagger und ein Fähnlein anderer Unterstützer waren da, und außerdem war an diesem Dienstag noch mit keiner Entscheidung im Auslieferungsverfahren mit Schweden zu rechnen. Erst in vier Wochen wird klar sein, ob die britischen Behörden den wegen Vergewaltigungsvorwürfen gesuchten Wikileaks-Gründer nach Stockholm überstellen wird oder nicht.

Das Medieninteresse war dennoch enorm, es war der erste öffentliche Auftritt Assanges nach mehreren Wochen Hausarrest. Deswegen musste das Verfahren auch in das Hochsicherheitsgebäude verlegt werden. Der Chef der Aufdecker-Website nutzte die Publizität, um eine beschleunigte Veröffentlichung jener US-Depeschen anzukündigen, die Wikileaks seit Ende November ins Netz stellt. Seine Medienpartner und diverse NGOs, so Assange, würden dabei helfen. Angekündigt war für den Jänner ein Konvolut über angeblich unethische Geschäftspraktiken der Bank of Amerika. Bis Dienstag waren insgesamt 2017 von mehr als 250.000 Kabel online gestellt. Die Veröffentlichung verläuft auch deswegen schleppend, weil die Organisation durch die Sperre diverser Spendensammelkanäle an eklatantem Geldmangel leidet. "Derzeit verlieren wir 600.000 Franken (rund 500.000 Euro, Anm.) pro Woche", erklärte Assange am Montag in einem Interview.

Die USA, die Wikileaks inzwischen gerichtlich zur Herausgabe der Daten aufgefordert haben, erklärten indes, dass sie eine Handvoll Personen, die in den veröffentlichten Depeschen namentlich genannt werden, unter ihren Schutz gestellt haben. Außerdem forderte ein US-Gericht persönliche Informationen über Wikileaks-Unterstützer vom Kurznachrichtendienst Twitter, darunter auch über eine isländische Parlamentsabgeordnete. Die Regierung in Reykjavík legte offiziellen Protest dagegen ein.

Aus den zuletzt veröffentlichen US-Depeschen geht unter anderem hervor, dass Washington das Regime in Tunesien als "mafiaähnlich" bewertet und China seine militärische Aufrüstung teilweise verstecke (erst am Dienstag testete Peking, akkurat während eines Besuches des US-Verteidigungsministers Robert Gates, einen für Radar schwer zu ortenden Tarnkappen-Kampfjet). Korruption beschrieben die amerikanischen Diplomaten etwa bei der Einfuhr von US-Hilfsgütern nach Gaza 2006, wo die Israelis "Spezialzahlungen" verlangten, und im russischen Energiegiganten Gazprom. Frankreich sei hochaktiv in Industriespionage und Präsident Nicolas Sarkozy habe überdies hohe Geldsummen von Gabuns Diktator Bongo bekommen.

In Österreich meinen 71 Prozent der Befragten in einer Internetumfrage von marktagent.com, dass die Plattform einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung von Skandalen und Machenschaften leistet. Für 67,5 Prozent fördert Wikileaks die Informationsfreiheit. Knapp die Hälfte der Befragten (48,2 Prozent) hält die Internetseite für unterstützenswert. (Christoph Prantner/DER STANDARD, Printausgabe, 12.1.2011)