Screenshot: Huffington Post

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Sie toben, wüten und schimpfen, so laut, dass moderate Töne und Nuancen kaum zu hören sind. Kurz nach dem Attentat auf die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords in Tuscon, Arizona, suchte Amerika nach Schuldigen und fand sie erstmals bei den Rechten. Die giftige Rhetorik der Konservativen, vor allem aber der Tea-Party, und allen voran ihrer Gallionsfigur Sarah Palin, trage Mitschuld. Mitschuld, im Sinne einer geistigen Beteiligung durch das Schaffen eines brutalen politischen Klimas, das den Boden für die Tat des mutmaßlichen Todesschützen bereitet, die auf labile Persönlichkeiten wie den Attentäter Einfluss hätten. Das sagten Politiker, das behauptete der zuständige Pima County Sheriff Charles W. Dupnik und so urteilten auch viele US-Medien. Sie gaben der Tea-Party-Bewegung die Verantwortung, Fox News, den rechten Radio-Moderatoren und Rechtsaußen-Republikanern. Ihrer martialischen Rhetorik, den Diffamierungen und gebetsmühlenartigen Hasspredigten.

Auch Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman vermerkte in seinem Blog, dass die "Saturierung unseres politischen Diskurses - insbesondere unserer Radiowellen - mit eliminationistischer Rhetorik hinter der wachsenden Welle der Gewalt im Land" stecke. "Linke Kommentatoren wie Keith Olbermann mokieren sich zwar sicherlich reichlich über republikanische Politiker. Aber man wird von ihnen niemals Witze darüber hören, dass Regierungsbeamte erschossen gehören oder Washington-Post-Reporter geköpft. Wenn man hingegen Glen Beck oder Bill O'Reilly einschaltet, hört man regelmäßig solche Dinge."

Der Gesetzeshüter des Pima County in Arizona sagte am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Tucson angesichts dessen, was sich in seinem Distrikt ereignet hatte: "Das ist nicht mehr das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Die Boshaftigkeit und der Hass, der heute tagtäglich aus dem Radio und dem Fernsehen tönt - das mag durch die Redefreiheit abgedeckt sein. Aber diese Dinge haben Konsequenzen."

"Mission accomplished" und Zurückrudern

"Mission accomplished, Sarah Palin", ätzte der linke Blogger (Daily Kos, Newsweek) Markos Moulitsas, weil Palin eine "Zielliste" von Wahlbezirken der demokratischen Abgeordneten publiziert und diese mit Fadenkreuzen markiert hatte, darunter auch jenen von Giffords. Der republikanische Senator aus Arizona, Jon Kyl, wiederum konterte, Verwirrte gebe es überall und sprach sichtlich erhitzt von "voreiligen Schlüssen".

Das war am Wochenende, ab Montag aber ruderten die meisten wieder zurück. Die Stimmung in der Politik sei besorgniserregend, aber das lasse nicht die Schlussfolgerung zu, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, lautet der Grundtenor weitgehend. In einer am Dienstag präsentierten CNN-Umfrage waren 57 Prozent der US-Amerikaner der Meinung, die Politik hänge nicht mit dem Attentat zusammen. CNN zitierte außerdem ein E-Mail Gabrielle Giffords an den republikanischen Kentucky Secretary of State Trey Grayson. Darin gratulierte sie - eine Nacht vor dem Attentat - diesem  zu seinem neuen Posten als Direktor des Harvarder Politikinstituts und sprach außerdem die scharfen Töne zwischen Republikanern und Demokraten an: "(...) Ich glaube, wir sollten darüber nachdenken, wie wir unsere Rhetorik und Parteinahme mäßigen können". 

Der erste Anschlag auf Giffords

Die Stimmung im Canyon-Staat Arizona hat sich in den vergangenen Monaten besonders aufgeheizt, die Wortgefechte zwischen den politischen Lagern sind dabei dabei immer brutaler geworden. Besonders zugespitzt hatte sich die Lage im 6,4 Millionen Einwohner-Wüstenstaat bei den Kongresswahlen vergangenen November.

Demokraten vermeldeten mehrmals, bei ihren Auftritten Demonstranten mit Schusswaffen gesehen zu haben. Politiker erhielten Drohungen, Pakete mit giftigen Inhalten und Harry Mitchell, Ex-Abgeordneter im Repräsentantenhaus, etwa hielt seine wöchentlichen Bürgertreffen in jenen Wochen irgendwann nur mehr per Telefon ab. Gegen Giffords soll es immer wieder Drohungen gegeben haben. Nach der Abstimmung über Obamas Gesundheitsreform im vergangenen März vermeldete Giffords einen Anschlag auf ihr Büro in Tucson, bei dem ein Fenster zu Bruch gegangen war.

Medien-Schwenk

Auch die New York Times schwenkte - nach einem anfänglichen sehr wohl hergestellten Zusammenhang zwischen der Rhetorik der politischen Vertreter und dem Angriff auf Politiker - um und schätzte diese Anklage schließlich doch als zu simpel und als einen "Irrtum" ein. Den Vorwurf, die Republikaner wie die Tea-Party hetzten die politische Stimmung des Landes auf, erneuerte die liberale Tageszeitung jedoch.

Politiker sollten ihre Worte "mit Bedacht wählen", aber Belege dafür, dass das politische Klima oder gar eine politische Gruppe dafür zur Verantwortung zu ziehen seien, fehlten schlicht, schreibt die Washington Post. "Politische Schlagworte töten keine Menschen. Waffen töten Menschen", so das leicht links der Mitte stehende Blatt weiter.

Das konservative Wall Street Journal wirft all jenen, die der Tea Party einen Teil der Schuld geben wollen, vor, das Attentat für parteipolitische Zwecke auszuschlachten. In dieselbe Kerbe schlagen allmählich auch republikanische Politiker und Kommentatoren rechts der Mitte: Newt Gingrich, ehemaliger republikanischer Kongressabgeordneter und Sprecher des Repräsentantenhauses, tat die Verlinkung zwischen Schießerei und Politik mit dem Argument ab, dass einige Demokraten nicht einmal in der Lage seien, "die Verbindung zwischen verurteilten Terroristen und radikalem islamischen Glauben" herzustellen.

Der erzkonservative Radiomoderator und König des "Talk Radio" Rush Limbaugh warf den Demokraten vor, sie rieben sich schon die Hände und nutzten das Attentat als "politische Wiederbelebung". Darauf wiederum reagierte Pima County Sheriff Charles W. Dupnik in einem Interview mit dem Sender ABC News: Die Rhetorik von Leuten wie Limbaugh sei "unverantwortlich", außerdem beziehe er sich "auf Halb-, manchmal sogar Unwahrheiten".

Glenn Beck, Olbermann, Gergen

Verhältnismäßig moderate Töne schlägt ausgerechnet Glenn Beck, der das Format der politischen Hetzsendung zum Quotenabräumer gemacht hat, an: "Verrückte gibt es auf beiden Seiten." Der Radiotalkmaster und Fox-Fernsehmoderator verdammte auf seiner Homepage Gewalt und rief dazu auf, sie mit vereinten Kräften zu verhindern. Dass der Slogan dazu ausgerechnet neben einem Bild, das ihn mit einer Waffe zeigt, auftaucht, griff die Huffington Post auf. Fox selbst wiederum war vorrangig damit beschäftigt, einen möglichen Zusammenhang zwischen seinen Programmen und Tucson weit von sich zu weisen.

Der Sender MSNBC, das linke Gegenformat zu Beck&Co., strahlte einen nachdenklichen Kommentar des Moderators Keith Olbermann über die Verantwortung der Medien ab: "Jeder von uns, der in der Vergangenheit an die Blutlust appelliert hat, muss sich heute entschuldigen." Und weiter: "Vielleicht waren wir nicht direkt für Tucson verantwortlich, aber wir sind dafür verantwortlich sicherzustellen, dass sich Tucson niemals wiederholt."

Der konservative Sender ABC-News erinnerte daran, dass sich der mutmaßliche Täter bereits 2007 auf Giffords fixiert haben soll, also lange vor dem Erstarken der Tea-Party und lange vor Sarah Palins Aufstieg.

David Gergen, ehemaliger Berater im Weißen Haus (Richard Nixon, Gerald Ford, Ronald Reagan und Bill Clinton) und CNN-Politikchef rief dazu auf, das Suchen nach Mitschuldigen zu beenden, solange nicht gänzlich alle Fakten auf dem Tisch seien. Er sprach von einer "Macho-Kultur", die sich durch ein Fehlen jeglichen Respekts vor dem jeweils anderen auszeichne und die das Volk noch weiter entzwei teile. Und er warnte davor, dass die derzeit laufende Debatte letztendlich erst recht zu dem führe, was nun eigentlich endlich ein Ende finden müsste: ein vergiftetes politisches Klima. (fin, derStandard.at, 11.1.2011)