Das Gymnasium ist ein Heiligtum des Bildungsbürgertums. Es hat eine ehrwürdige Tradition als Hort der klassischen Bildung. Es spielt eine große Rolle in der Literatur, von Stefan Zweig bis Friedrich Torberg. Nachvollziehbar, dass die ÖVP es mit Zähnen und Klauen verteidigt. Aber warum muss es unbedingt acht Jahre dauern? Täten es vier Jahre nicht auch, ohne dem Leistungsgedanken Abbruch zu tun?

In der gegenwärtigen Diskussion um die Schulreform bleiben die wahren Motive der Protagonisten oft im Hintergrund. Alle sagen: Wir wollen die besten Schulen für unsere Kinder. Wir wollen in Zukunft bessere Pisa-Ergebnisse. So weit, so gut. Aber dahinter verbirgt sich bei den Befürwortern der Selektion der Zehnjährigen unausgesprochen der Gedanke: Wir wollen nicht, dass unsere Kinder mit lauter Türken und Proleten in die Schule gehen. Sie sollen auf dem Weg in die Akademikerlaufbahn möglichst nur mit ihresgleichen zusammen sein. Für die andern ist die Neue Mittelschule gut genug.

Daraus spricht einerseits die echte Sorge um die Qualität des Unterrichts. Wie soll man vernünftig lernen, wenn ein Großteil der Schüler nicht richtig Deutsch kann? Aber andererseits spricht daraus oft auch schlichter Klassendünkel. Der Sohn oder die Tochter sollen dereinst zur Elite der Gesellschaft gehören. Besser, sie stoßen dabei auf nicht zu viel Konkurrenz. Denn unter den Türken und Proleten sind womöglich hochbegabte und hochmotivierte Jugendliche, die in der gemeinsamen Schule an den Bürgerkindern vorbeiziehen und sie karrieremäßig hinter sich lassen könnten.

Manche durchaus engagierte AHS-Lehrer sind auch nicht nur deshalb gegen die Gesamtschule, weil sie gern auch weiterhin Professoren heißen und mehr bezahlt bekommen wollen, sondern weil sie der allgemeinverbindlichen Neuen Mittelschule nicht trauen.

Ihre Befürchtung: Das Gymnasium wird herunternivelliert, und an seine Stelle tritt eine Hauptschule mit neuem Namen, weil das Geld und die guten Lehrer fehlen, um etwas wirklich Neues und Besseres à la Finnland auf die Beine zu stellen.

Es wäre gut, wenn im öffentlichen Diskurs alle diese Ängste und Befürchtungen offen zur Sprache kämen. Es bringt nichts, die wahren Motive hinter Schönbegriffen wie "Transparenz" und "Durchlässigkeit" zu verbergen. Und die Befürworter der gemeinsamen Schule für die Zehn- bis Vierzehnjährigen könnten auch ruhig klarmachen, dass sie nichts gegen hohe Anforderungen und Exzellenz haben, vor allem in der Oberstufe. Warum keine Eliten - wenn es demokratische Leistungseliten sind?

Dabei könnte man Anleihen in Frankreich nehmen, wo die Schüler in einem Punktesystem Defizite etwa in den Sprachen mit hervorragenden Leistungen in den Naturwissenschaften kompensieren können. Da geht die Hauptenergie in die Stärken und nicht in die Schwächen.

Gut, dass über die Schule diskutiert wird. Am Ende könnte etwas stehen, das die Vorteile des alten Gymnasiums erhält, aber demokratischer und trotzdem besser ist. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, Printausgabe, 11.1.2011)