Wien (APA) - In der musikalischen Bildung und Ausbildung fehlt es in Österreich an einer einheitlichen Strategie. Die Musikschulen, die Breite wie Spitze fördern sollen, haben zu wenig Plätze, für die Begabtenförderung gibt es keine klare Zuständigkeit und die Verankerung in der allgemeinbildenden Schule ist eine Baustelle.

Kritik am Musikunterricht

Der Dirigent des Neujahrskonzerts, Franz Welser-Möst, hatte erst kürzlich gemahnt: "Es genügt nicht, ein paar Kinderkonzerte zu organisieren und zu glauben, damit hätte man auch die musikalische Nachwuchsarbeit abgehakt. Die Menschen müssen Musik als identitätsstiftend erfahren. Und das ist nicht möglich, wenn der Musikunterricht im Schulbetrieb als Ersatzrad behandelt wird." Der Status der allgemeinen musikalische Bildung in der Schule ist aber nur einer von mehreren Kritikpunkten, die der heimischen Nachwuchsförderung entgegenschlagen - und die im föderalen Kompetenzlabyrinth der Musikschulen nicht selten als Kleinholz die Querelen der Lokalpolitik befeuern.

"Österreichs Schüler können also nicht lesen - aber können sie singen?", fragt Ranko Markovic, der sich vor und neben seinem aktuellen Job als Leiter des Wiener Konservatoriums intensiv der Nachwuchspflege im Musikschulwesen und in der Begabtenförderung widmete. "Singen und Tanzen sind eigentlich kulturelle Grundkompetenzen, das muss man auf einer höheren Ebene sicherstellen."

Unis können Hochbegabte nicht ausreichend unterstützen

Konservatoriumsleiter Markovic ist skeptisch, ob Musikhochschulen überhaupt Hochbegabte anziehen: "Persönlich bin ich ziemlich sicher, dass die Musikschulen, sofern sie das Ziel verfolgen, möglichst vielen Kindern musikalische Erziehung zu ermöglichen, zur Findung von Hochbegabten relativ irrelevant sind." Und fügt hinzu: "Sie können dafür auch nicht zuständig sein". Auch die Unis, wo viele Begabte schon früh in Vorbereitungsklassen unterrichtet werden, hätten letztlich nicht ausreichende Möglichkeiten: "Es fehlt eine Binnenstruktur."

Will man die Musikschule als Kaderschmiede sehen, ist auch die statistische Optik schief: Denn blickt man auf den Profi-Nachwuchs (etwa bei Bewerben wie "Gradus ad Parnassum"), setzt sich das Musikschul-Sorgenkind Wien großteils wieder an die Spitze. Mögliche Gründe: Der Musikerberuf weist eine hohe Erblichkeit in den meist in Wien wohnhaften Musikerfamilien auf. Der Leistungsdruck an den Wiener Musikschulen könnte wegen der Platzknappheit noch größer sein. Oder: An das Wiener Musikgymnasium wechseln viele Schüler mit hoher musikalischer Begabung ab der Oberstufe auch aus den Bundesländern.

"Ab einem gewissen Niveau muss man einfach sehr viel üben"

Die geforderte Binnenstruktur für Begabte könne das Musikgymnasium dennoch nicht erfüllen, so Markovic. Zumindest nicht für ganz Österreich. Und auch Gutschik würde sich spezielle Institutionen wünschen, die anderswo weit üblicher sind. "In vielen asiatischen Staaten kommen die Kinder schon ab der Volksschulzeit in entsprechende Fördereinrichtungen und erhalten dort genauso viel Unterricht wie ein Student." Hierzulande würden hochbegabte Schüler stattdessen von den schulischen Anforderungen oft eingeschränkt. "Sie bräuchten individuelle Rechte", so Gutschik. "Ab einem gewissen Niveau muss man einfach sehr viel üben."

An den Musikunis kommen etwa 60 Prozent der Studenten aus dem Ausland. "Aber: Es gibt fünf Musikunis, insgesamt ca. 8.000 Studienplätze, 40 Prozent davon sind 3.500 Österreicher - das ist nicht wenig", gibt Rankovic zu bedenken. Gerade beim Klavier sei die Bewerberlage aus Österreich allerdings tatsächlich ziemlich schlecht - weshalb das Fach nun auch in der Unterrichtskapazität etwas heruntergefahren wird.

Muss man sich also zwischen Breitenwirkung und Begabtenförderung entscheiden? Der Blick auf andere Länder mit starkem Nachwuchs zeigt nicht nur Hochleistungsförderung wie in Ostasien oder Russland: Das venezolanische "El Sistema" hat mit seinem Anspruch, dass jedes Kind des Landes ein Instrument lernen soll, für eine unerhörte Breite gesorgt - aber mit dem Simon Bolivar oder dem Teresa Carreno Youth Orchestra auch eine international beachtete Spitze geschaffen und so Basisarbeit und Exzellenz eng miteinander verknüpft.

Die Ressourcen fehlen

Dafür scheinen in Österreich die Ressourcen zu fehlen. Es gilt als gängiges Vorurteil, dass von der Basisarbeit der Musikschulen eher die Bundesländer profitieren, während die Exzellenz sich in den Städten ihre Wege über den Privatunterricht bahnt. "Privatunterricht gibt es aber überall", betont Gutschik. "Den Bedarf an Musikschulplätzen kann man nirgendwo decken, wenn man Gruppenunterricht vermeiden will. Wenn ich die Dienstposten hätte, könnte ich morgen tausend neue Kinder aufnehmen." Nicht unwahrscheinlich, dass unter diesen tausend Musikwilligen auch das eine oder andere große Talent auf der Warteliste steht. (APA)