Andy Warhol: "Holstentor" aus dem Jahr 1980. 611.500 Euro ließ sich ein Sammler aus Österreich für dieses Ölbild im Dezember bei Van Ham (Köln) springen.

Foto: Van Ham
Grafik: Standard

Die schwärzeste deutsche Kunstmarkt-Kuriosität des abgelaufenen Jahres zuerst: Der Fälschungsskandal rund um den 1996 in Köln verstorbenen Industriellen Werner Jägers (was stimmt), der Sammler war und Bilder vererbte (was nicht stimmt), scheint noch lange nicht vom Tisch.

Nicht nur, aber auch weil es um mehr als 60 über Galerien und Auktionshäuser von missratenen aber findigen Jägers-Enkelchen vertriebene und produzierte Fälschungen geht (DER STANDARD berichtete), die längst die Staatsanwaltschaft beschäftigen. Vermuteter Gesamtschaden: rund 80 Millionen Euro. Laut jüngsten deutschen Medienberichten mehren sich nun die Hinweise, dass Hendrik Hanstein, Chef des Auktionshauses Lempertz, wo für einige Werke dieser Provenienz Rekordergebnisse erzielt worden waren, das Wissen um Fälschungen (zu) lange für sich behielt.

In der aktuellen offiziellen Bilanz des Kölner Auktionshauses bleibt das alles freilich unerwähnt, wird das Jägers-Trauma mit Benefizengagement umschifft und lapidar auf eine Rekordumsatzsteigerung von 40 Prozent (ggb. 2009) auf 49 Millionen Euro gemeldet.

Deutsche Anlagentauglichkeit

Der deutsche Auktionshaus-Trend - überwiegend klassisch-moderne, "abgesicherte" Werte - hält an. Und gerät indes zur Realsatire: Denn, was ist noch sicher? Anders als besonders in Frankreich ist die eindeutige Haftungsfrage, ausgehend vom Einlieferer über die Verfahrensweise des Gutachters bis zum Auktionator, in Deutschland recht diffus.

Dazu steht die Branche unter dem Erwartungsdruck immer neuer, attraktiver Offerte, wie auch der leichtfertige "Erfolg" des Jägers-"Erbes" gezeigt hat. Marktfrische Klassiker verursachen derzeit eher skeptisches Fracksausen als Expertenfreuden. Micaela Kapitzky (Villa Grisebach, Berlin; 2010: +18 Prozent) merkt an, dass das Akquirieren hochwertiger, einwandfreier Ware erst 2010 wieder besser funktionierte - in der Krise hielt der Sammler fest. Im Ranking der Top-Ten-Zuschläge (siehe Tabelle) platzierte man dort mit Emil Nolde, Max Beckmann und Georg Tappert drei Kunstwerke auf dem Umsatz-Siegertreppchen. Abseits der Moderne blieben Max Bill und Sean Scully die Epochen-Ausnahme. Der zeitgenössische Boom ist vorerst gestoppt, lediglich ZERO behauptet deutsche Anlagetauglichkeit.

Dieses Käuferverhalten bestätigt sich auch in München, bei Neumeister etwa mit Kandinsky und Kirchner (270.000 bzw. 250.000 Euro), aber vor allem bei Ketterer, wo man Ernst Ludwig Kirchners Kinderköpfchen (1,74 Mio.) an die Spitze hievte. Van Ham (Köln, 2010: +18 Prozent) punktete mit der Generation Post War und konnte Andy Warhols Holstentor für 611.500 Euro in eine österreichische Sammlung platzieren, hinsichtlich Rudolf Bauers Pink Circle mit 538.000 Euro den Preis-Weltrekord vermelden.

Lempertz belegt mit Brueghels Der Alchemist (1,7 Mio.) und Picassos Femme et jeune garçon nus die Plätze zwei und drei. Zum Jahresende damit ein äußerst positiv entwickeltes Auktionsjahr, parallel zum deutschen Wirtschaftsaufschwung, das in den Spitzen doppelt bis dreimal so hoch lag wie noch im ersten Halbjahr.

Und die deutschen Kunstmessen? Die Messelandschaft scheint zwischen Berlin, Köln und München zum schalen Regionalphänomen zu mutieren. Die (ge)wichtige Musik spielt in Basel, Miami und zunehmend in Asien (Hongkong, Singapur), wohin sich nicht nur ein Berliner Galerist wie Michael Schultz, mit Dependancen in Seoul und Beijing, orientiert. Er äußert hinsichtlich Deutschland: "Wir dümpeln auf hohen Niveau so vor uns hin" , und er spricht "vom zu Tode kuratierten Berliner art forum" , von einer "unsexy aufgestellten Art Cologne" : Mehr als 120 deutsche Galerien (von 193 Teilnehmern) werden im April 2011 nach Köln kommen - zu einer zumindest deutschen Leistungsschau, wie man hoffen darf. (Roland Gross, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 8./9. Jänner 2011)