Zeugenschaft eines Jahrhunderts: Der Schauspieler Bruno Ganz verkörpert in "Das Ende ist mein Anfang" den italienischen Journalisten Tiziano Terzani an dessen Lebensabend.

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Standard: Die Filmvorlage, Tiziano Terzanis Buch "Das Ende ist mein Anfang", enthält auch eine Anleitung zum Sterben. Können Sie seine Gedanken dazu teilen?

Ganz: Ich weiß nicht, ob ich das teilen kann. Das hat mich auch eigentlich nicht so interessiert. Ich habe seinen Versuch der Annäherung zu verstehen versucht. Terzani hat sich ja, nachdem ihm die Westmedizin klargemacht hat, dass sie nicht weiterhelfen kann, in 6000 Meter Höhe in die Gemeinschaft eines Eremiten begeben, der zufälligerweise auch die gesamte abendländische Philosophie im Kopf hatte. Dieser Mann hat ihm das Ego, wie Terzani sagt, weggehackt, und wie er sich dort der extremen Natur ausgesetzt sah, ist er zu etwas gekommen, das ihm hilft, den Tod zu bewältigen. Er hat eine Erfahrung des Kosmischen gemacht und gelernt, den Gedanken zu ertragen, dass er darin verschwinden wird. Als Leistung hat mir das imponiert.

Standard: Dieser späten Phase in Terzanis Leben gingen zahlreiche andere voraus, in denen er auch intensive und extreme Erfahrungen mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts machte, als "Spiegel"-Korrespondent in Asien.

Ganz: Terzani war ein italienischer Kommunist - das ist ja nicht dasselbe wie ein deutscher Kommunist! -, der sich nach seinen Erfahrungen mit dem Maoismus und mit dem China des Mao Tse-tung stärker auf Gandhi zubewegt hat. Die Zeugenschaft des Jahrhunderts als Reporter, der den Vietnamkrieg erlebt, der Pol Pot kennenlernt und der bemerken muss, dass sein ganz großer Politschwarm Mao irgendwann anfängt, ihm sehr zu missfallen, ist natürlich einmalig. Diese Erfahrungen hat er in seine Kulturkritik, wie man das heute nennt, eingebracht. Seine Philosophie des Sterbens und seine Kritik an den Verhältnissen, das hat sich am Ende alles amalgamiert.

Standard: An Terzanis zeitweilig radikaler Politik kann Sie vieles interessiert haben, Sie haben ja an der Schaubühne seinerzeit einschlägige Erfahrungen gemacht.

Ganz: Meine ganze Theatergeschichte ist durchdrungen von dieser Art Vorstellung. Die Schaubühne ist ein Produkt solcher Sachen, die man immer wieder auch mit 1968 in Verbindung bringt. Aber es war eben mehr die deutsche Vorstellung davon, mit strengen Kaderparteien. Eine der ersten Forderungen um 1970 war, dass man auf jede Art von bürgerlichem Leben verzichtet, sich selber abschafft als bürgerlicher Künstler - während die Italiener nie vergessen haben, dass sie sündige Menschen sind, und dass das Leben vielleicht wichtiger ist als die Ideologie. Sie haben nie vergessen, dass Essen immer noch das Essen ist. Bürgerlich oder nicht, gut musste es sein.

Standard: Wie hat die Schaubühne den Dogmatismus überwunden?

Ganz: Wir haben uns ja doch als bürgerliche Künstler verstanden. Der Kernmannschaft war klar, über welche Art von seelischem Haushalt wir verfügten und dass es da Grenzen gab der Möglichkeit, das zu vergessen oder auch darauf zu verzichten.

Standard: Zur selben Zeit traten Sie auch schon in Filmen auf, und zwar durchaus auf der Seite der Empfindsamkeit: bei Wim Wenders oder Peter Handke.

Ganz: Handke war für mich der Autor, der mir mein eigenes Leben erklärt hat, der mich bestärkt hat, auf Innerlichkeit zu beharren. Weil es auch im Spielplan vorkam - von Handke spielten wir Der Ritt über den Bodensee -, war das der Ausdruck der Leute, die am sichtbarsten am Bürgerlichen hingen. Es gab, um links zu reden, eine bürgerliche Fraktion in der Schaubühne, die an diesen Sachen hing, und weil Peter Stein dafür ein Verständnis hatte, sein Politkopf aber streng links war, wurde das immer so herumgeschaukelt.

Standard: Terzani kann man als Aussteiger bezeichnen, Sie dagegen sind eher ein Einsteiger - heute sind Sie ein wichtiger Star des Eichinger'schen Filmstar-Systems.

Ganz: Mich hat die Entwicklung, die das deutsche Theater dann genommen hat, sehr abgestoßen. Das hat als Gegengewicht meinen Wunsch, eine Spielweise zu pflegen, die mit Identifikation zu tun hat, eher verstärkt. Identifikation war für die Theater zu einem bestimmten Zeitpunkt das Allerschlimmste, das war in mir aber schon stark angelegt, und das wollte ich nicht aufgeben.

Standard: Gibt es für Sie persönlich auch etwas, das Ihnen hilft, sich auf den Tod vorzubereiten?

Ganz: Ich glaube, dass man das nicht kann, sich auf den Tod vorbereiten. Ich habe gerade drei Filme gemacht, in denen die Figuren, die ich spiele, am Ende sterben. Also war ich gezwungen, mich damit zu beschäftigen. Aber ich habe da irgendwann aufgegeben. Natürlich geht mir das sehr oft durch den Kopf, dass ich mich dem nähere, aber ich merke: Eine Vorbereitung in dem Sinne, dass ich dann wüsste, wie es geht, ist schlicht unmöglich.

Standard: Keine Jenseitsvorstellung, keinen Nachlebenstraum?

Ganz: Auch das nicht. Ich glaube, es hört einfach auf. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Printausgabe, 4./5. 1. 2011)