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Indianische Politiker geraten in Kanada ins Schussfeld der Kritik aus eigenen Reihen. Viele unter ihnen in den Reservaten sind Schwerverdiener.

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In den zum Teil bitterarmen Indianerreservaten Kanadas wächst die Empörung. Viele ihrer Häuptlinge verdienen mehr als der Premierminister. Rechenschaftspflicht und Transparenz über staatliche Hilfsgelder fehlen.

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Brian Smith, ein Mi'kmaq-Indianer aus der kanadischen Provinz Nova Scotia, ist schockiert. In seinem Reservat Glooscap residiert der bestbezahlte indianische Politiker Kanadas. Glooscap ist winzig: Hier leben nur 87 der 304 registrierten Einwohner. Es gibt einen Laden, eine Tankstelle, einen Videoverleiher, eine Krankenstation und das Stammesbüro. Das Reservat gilt als so arm, dass es die Regierung im Vorjahr mit 680.000 Euro unterstützte. Ausgerechnet hier leben einige im Überfluss.

Ein Mitglied des dreiköpfigen Stammesrates wies zuletzt ein Einkommen von 750.000 Euro aus. Die zwei anderen, darunter der weibliche Häuptling, verdienten zusammen über 300.000 Euro, was Brian Smith nicht fassen kann. "Was immer sie dazu zu sagen haben, es rechtfertigt die Riesensumme nicht, die sie bezogen", sagt der Vater von sechs Kindern, der früher als Bankier arbeitete.

Veröffentlicht hat die Saläre der Bund kanadischer Steuerzahler. Unter den Schwerverdienern ist der Cousin des Häuptlings Shirley Clarke, die mit ihrer Schwester und Vetter Mike Halliday den Stammesrat bildet. Halliday bezog dafür ein Gehalt von 72.000 Euro. Dazu erhielt er 90.000 Euro, weil er im winzigen Reservat zuständig für die Finanzkontrolle, die Fischerei, das Arbeits- und Häuseramt ist. Über eine halbe Million Euro gab es weiters für Aufträge, die ihm der Stammesrat erteilte.

Mehr als der Premierminister

Als Vetternwirtschaft sieht Häuptling Clarke das nicht. Sie ist auch nicht der einzige indianische Funktionär mit stolzem Einkommen. Im selben Jahr verdienten gut 80 Häuptlinge und Stammesräte jeweils mehr als Premierminister Stephen Harper. Mehr als 220 Indianerführer der Reservate nahmen auch mehr ein als die Ministerpräsidenten ihrer Provinzen. Kanadische Indianer, die in den 570 Reservaten leben, müssen keine Einkommenssteuern bezahlen. Die Regierung hilft den Reservaten mit 5,2 Milliarden Euro jährlich, vor allem um die grassierende Armut zu bekämpfen.

In Glooscap, sagt Brian Smith, gebe es Menschen, die zu wenig Nahrung und keine richtige Unterkunft hätten. Die Mitglieder des Stammesrates hätten sich aber ein Swimmingpool geleistet, jedes Jahr neue Autos gekauft und für ihre Familien immer mehr Häuser bauen lassen. "Was hätte man mit dem Geld nicht alles für die Gemeinde tun können", sagt Smith: "Es gibt hier keine Transparenz oder Rechenschaftspflicht."

Es ist ein Problem in vielen Indianerreservaten in Kanada, die oft einflussreiche Familien regieren. Was mit dem Hilfsgeld aus Ottawa geschieht, obliegt nur dem Stammesrat, der keiner öffentlichen Verantwortlichkeit untersteht. Smith arbeitet in einer gemeinnützigen Organisation, die indianischen Politikern Rechenschaftspflicht und Bürgermitsprache nahebringt. Jetzt muss er das im eigenen Reservat anpacken.

Angst vor Repressalien

In Ottawa fordert die konservative Abgeordnete Kelly Block, dass Häuptlinge und Stammesräte ihre Saläre künftig offenlegen müssten wie alle anderen gewählten Politiker in Kanada. Der Vorsitzende der 630 kanadischen Häuptlinge, Shawn Atleo, kritisierte, dass die Probleme mit der Rechenschaft vor allem bei der Regierung in Ottawa und beim Ministerium für Indianische Angelegenheiten lägen.

In Glooscap ist die Welt nicht mehr so, wie sie vorher war. Smith sagt, Mitbürger, die den Stammesrat hinterfragten, hätten Angst vor Repressalien. Er sammelte Unterschriften, um die Verwaltung des Reservats zur Sonderversammlung zu zwingen. Häuptling Clarke hat mehr Transparenz versprochen. Ihr Cousin schweigt über seine wundersamen Einnahmen. (Bernadette Calonego aus Vancouver, DER STANDARD, Printausgabe, 5.1.2011)