Eines muss man Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán lassen: Er ist ein Meister des Populismus. Wie er seine überwältigende Parlamentsmehrheit dazu verwendet, kritische Medien zu knebeln, die Höchstgerichte zu entmachten und die Volksmeinung gegen alle Feinde im In- und Ausland zu mobilisieren, ist ebenso beeindruckend wie erschreckend.

Auch in der Wirtschaftspolitik folgt Orbán ganz den Lehrbüchern des Populismus. Mögen andere EU-Staaten ihre hohe Staatsverschuldung mit Blut, Schweiß und Tränen bekämpfen, die Fidesz-Regierung erspart seinen Wählern schmerzhafte Einschnitte und Belastungen. Stattdessen werden die privaten Pensionskassen, in die Bürger gutgläubig eingezahlt haben, ausgeräumt und reiche ausländische Konzerne zur Kasse gebeten.

Das Ärgerliche an Orbáns Strategie ist, dass seine Rechnung sehr wohl aufgehen kann. Zwar dürfte die Wirtschaftspolitik die Misere des einst so hoffnungsvollen Reformstaates auf Jahre verlängern und Ungarn langfristig an den Rand Europas drängen. Aber anders als Staatsmännern sind Populisten solche vorausschauende Perspektiven gleichgültig. Für sie zählt nur das Hier und Jetzt. Und bei dem sitzt Orbán am längeren Ast als die wachsende Zahl seiner Kritiker.

Auch wenn die Kritik am neuen Mediengesetz noch so laut wird, haben weder die EU-Kommission noch die europäischen Partnerstaaten echte Druckmittel in der Hand. Die internationale Ächtung, mit der sie drohen können, spielt Orbán innenpolitisch in die Hände. Ein Boykott des ungarischen EU-Vorsitzes würde der Union mehr Probleme schaffen als den Ungarn. Und Verfahren vor einem der europäischen Gerichtshöfe - in Luxemburg oder Straßburg - dauern viel zu lange, als dass sie dem selbstbewussten Premier derzeit schlaflose Nächte bereiten würden.

Das Gleiche gilt für das Vorgehen deutscher und österreichischer Konzerne gegen die ungarische Sondersteuer. Formal diskriminiert die Abgabe nicht internationale Investoren; dass die Auswahl der Branchen und die Staffelung nach Umsatz so gewählt wurden, dass vor allem Ausländer belastet werden, muss man den Ungarn erst durch mühsame Vertragsverletzungsverfahren nachweisen. Und diese dauern wiederum mehrere Jahre. Selbst die deutschen und österreichischen Wirtschaftsminister können ihren Konzernen nur verbale Schützenhilfe bieten.

Wer seine Investoren auf diese Weise brüskiert, riskiert, dass in Zukunft niemand mehr investiert. Doch auch dies macht sich erst langfristig bemerkbar; ein rascher Abzug aus einem Land kommt Konzernen viel zu teuer.

Selbst vor den Schelten des Internationalen Währungsfonds hat sich Orbán geschützt, indem er die Verhandlungen mit dem IWF im Vorjahr abgebrochen hat. Die großen Kredite, die Ungarn zur Abwehr des Finanzkollapses benötigt hatte, wurden ja bereits 2008 und 2009 ausbezahlt.

Allerdings ist Ungarn weiterhin auf das Wohlwollen der Anleihenmärkte angewiesen, um die höchste Staatsschuld in Mittel- und Osteuropa zu refinanzieren. Und dieses wird zunehmend brüchig. Niemand wünscht einem Nachbarland eine Finanzkrise an den Hals, aber ein wenig jenes Drucks, den Griechen und Iren zuletzt gespürt haben, könnte Orbán - wohl unter Tiraden gegen ausländische Spekulanten - am ehesten zu einem Kurswechsel zwingen. Für Ungarns langfristige Aussichten wäre dies ein Segen. (Eric Frey, DER STANDARD, Printausgabe, 4.1.2011)