Der Europa-Volkswirt von Goldman Sachs, Dirk Schumacher, lobt die Sparbemühungen der griechischen Regierung. Das Problem sei allerdings, "dass sich die Schulden selbst bei konsequenter Umsetzung nur auf hohem Niveau stabilisieren werden". 

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STANDARD: Wurde die Eurokrise mit dem Beschluss eines fixen Hilfsfonds für angeschlagene Länder entschärft?

Schumacher: Dass sich alles in Wohlgefallen auflöst, ist sehr sehr unwahrscheinlich. Die strukturellen Probleme in der Peripherie sind ja weiter da und werden nicht über Nacht verschwinden. Die große Frage ist, ob diese Länder ausreichend Zeit bekommen, um die notwendigen Schritte zu setzen. Da kann man skeptisch sein, dass der Markt Portugal und vielleicht auch Spanien diese Zeit gewährt und die Länder doch noch unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen müssen. Wenn Spanien unter den Schirm geht, reicht er nicht mehr aus, um ein weiteres Land zu unterstützen.

STANDARD: Sowohl bei Irland als auch bei Griechenland gibt es Zweifel, dass der Schuldenabbau in dem geplanten Tempo gelingen kann.

Schumacher: In Griechenland bemüht sich die Regierung nach allen Regeln der Kunst, den Staatshaushalt zu sanieren. Ich bin überrascht, wie stringent das Programm umgesetzt wird. Damit ist die Frage der Tragfähigkeit der Schuldenlast natürlich nicht ausreichend beantwortet. Das Problem ist, dass sich die Schulden selbst bei konsequenter Umsetzung nur auf hohem Niveau stabilisieren werden. Ob und zu welchen Konditionen die Anschlussfinanzierung gelingen kann, das ist die eigentliche Frage. In Irland hängt alles von den Banken ab. Wir glauben, dass es noch Abschreibungen im Ausmaß von 35 Milliarden oder 20 Prozent des irischen Bruttoinlandsproduktes geben wird. Dann stellt sich die Frage der Solvenz nicht. Aber wenn die Abschreibungen höher sind, dann wird das ein Thema.

STANDARD: Wie beurteilen Sie den Schritt, ab 2013 private Gläubiger an Hilfen für angeschlagene Staaten zu beteiligen?

Schumacher: Es kann nicht sein, dass die Investoren eine Form von Garantie bekommen. Es ist die Pflicht des Investors, sich über die Kreditwürdigkeit des Schuldners Gedanken zu machen. Der Beschluss, dass private Gläubiger einen Beitrag leisten müssen, ist eine Selbstverständlichkeit, sonst brauchen wir nicht mehr über die Marktwirtschaft zu reden.

STANDARD: Die Euroländer mühen sich politisch mit den Hilfsmaßnahmen ab, die Europäische Zentralbank hält sich zurück. Was hielten Sie von einer massiven Auf- stockung der Staatsanleihekäufe nach US-Vorbild?

Schumacher: Viel, muss ich sagen, weil das die eleganteste Variante ist, mit dem Problem umzugehen. Elegant deshalb, weil man den Euro-Fonds verdoppeln müsste, wenn man beispielsweise an Italien denkt. Bloß eine Verdoppelung stellt dann die Frage, wie glaubwürdig sind eigentlich die Garantien, die dahinterstehen, und was passiert mit dem Kredit-Rating der Staaten mit Top-Bonität, die dafür geradestehen? Wenn deren Rating darunter leidet, sind auch die Funding-Kosten des Eurofonds nicht mehr ganz so generös wie jetzt. Da gibt es ganz klare Grenzen, was machbar ist. Die EZB kann ohne Limit kaufen und wäre eine Rückfalloption, die immer greift. Gegen sie zu spekulieren wäre sehr sehr schwierig. Ich glaube, für große Staatsanleihenprogramme ist der Widerstand im Rat der Notenbank zu groß. Wenn die Situation außer Kontrolle geraten würde, würde die Europäische Zentralbank aber eingreifen und massiv Bonds kaufen.

STANDARD: Die Renditen deutscher oder österreichischer Staatsanleihen sind in den vergangenen Wochen schon merklich gestiegen. Ist das als Vorwegnahme größerer Hilfsaktionen zu bewerten?

Schumacher: Ich glaube, das hat durchaus eine Rolle gespielt. In dem Maß, in dem die Garantien auch tatsächlich abgerufen werden, tangiert das die Kreditwürdigkeit Deutschlands und anderer Staaten, die die Hilfen mittragen.

STANDARD: Die Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone ist derzeit heterogener denn je. Sie reicht von minus vier Prozent Rezession bis zu vier Prozent Wachstum. Was bedeutet das für die Steuerung der Währungsunion?

Schumacher: Zum einen ist es für die Länder in der Rezession gut, dass die anderen Staaten wachsen. Die Unterschiede sind aber auch Teil des Anpassungsprozesses und unvermeidbar. Das heißt Lohnzurückhaltung und Deflation, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen.

STANDARD: In den USA werden Verschuldung oder unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit von den Finanzmärkten weniger schief beäugt als in der Eurozone. Woher rührt das?

Schumacher: Man sieht sehr wohl, dass die Spreads einzelner Bundesstaaten deutlich angestiegen sind. Gewisse Parallelen existieren. Aber letztlich ist die Bereitschaft der USA, den Bundesstaaten zu helfen, größer als in der Eurozone. Aber so ganz sicher ist sich der Markt offensichtlich auch nicht. Wir sind aber in den letzten Monaten deutlich optimistischer betreffend USA geworden und haben die Konjunkturerwartungen um einen halben Prozentpunkt nach oben revidiert, weil die Steuererleichterungen verlängert wurden. Dass das Defizit höher ist als in der Eurozone, wissen wir. Aber die USA sind eine dynamische Wirtschaft.

STANDARD: Aber gerade die Ausgabendynamik ist in den USA langfristig weit stärker als in Europa.

Schumacher: Wie alle Industrieländer müssen auch die USA massive Veränderungen vornehmen, das wird auch passieren, vor allem im Gesundheitssektor. Die Annahme, alle Ausgaben auf 20 Jahre fortzuschreiben, ist in meinen Augen naiv. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Printausgabe, 4.1.2011)