Für seine Karriere nimmt er so manche Verrenkung in Kauf: Selicour (Michael Maertens, mit Kirsten Dene).

Foto: Reinhard Werner

 Wien - Das Klima am Arbeitsplatz kühlt in Zeiten der Wirtschaftskrise empfindlich ab. Drohende Einsparungen machen aus Kollegen im Handumdrehen Konkurrenten um den Job. Die in ministeriellen Amtsstuben angesiedelte Komödie Der Parasit Oder: Die Kunst sein Glück zu machen, eine von Friedrich Schiller ins Deutsche übertragene Intrigenstudie seines französischen Zeitgenossen Louis-Benoît Picard, liefert dazu herzhaftes Anschauungsmaterial:

Ein überehrgeiziger Beamter mit Provinzvergangenheit versucht mit allen Mitteln, im Kabinett des Ministers Narbonne seine Karriere voranzutreiben. Dieser Mann mit Namen Selicour (Michael Maertens) dient sich mit falscher Sympathie der Ministersmutter (Kristen Dene) an, kickt fähige Kollegen (Oliver Stokowski als La Roche) aus dem Posten und schüttelt seine ihn in Gestalt proletarischer Anverwandter heimsuchende Vergangenheit wie Dreck von seinem Schuh. Und das alles nur, um den Gesandtschaftsposten zu erhalten, für den er - abgesehen von seiner kriminellen Diplomatie - nicht die mindesten Voraussetzungen hat.

Ganz vorne an der Rampe, vor einer an historischen Kulissen inspirierten, aber gänzlich weißen Faltwand auf Rädern (sie lässt sich wie eine Ziehharmonika bewegen) werden die Gesichter und Gesten der Schauspieler ganz deutlich. Dahinter liegen die indefiniten Weiten des Ministerpalastes (Bühne und Kostüme: Johannes Schütz). In dieser beweglichen Faltwand öffnen sich große und kleine Tapetentüren, die jeweils die hierarchische Stellung ihres Inwohners andeuten. Der Minister selbst (Udo Samel) schreitet durch eine immens hohe Tür, deren Klinke liegt weit oberhalb seines Kopfes, der Schreiberling Firmin (Johann Adam Oest) muss sich beim Eintreten in sein Büro hingegen tief bücken.

Einschleimendes Gehabe

In diesen körperlichen Verrenkungen liegt viel Komik, auch in der damit einhergehenden und zumindest für nahe der Rampe sitzendes Publikum ausgestellten Mimik. Und darauf verlässt sich die Inszenierung Matthias Hartmanns ganz besonders: Der Name "Selicour" spritzt den einen wie Gift ins Auge oder schnürt anderen den Hals ab. Zugleich löst das einschleimende Gehabe Selicours bei willigen Opfern wie Madame Belmont (Dene) Verzückung aus.

Der begabte, aber feige Angestellte Firmin (Oest) zeigt sein Gesicht nur in undurchsichtigen Masken; er ist ein wohlerzogener, gewissenhafter Zuhörer, der nur ja nie anecken möchte und genau dadurch zum unfreiwilligen Mitspieler taugt. Von ihm wird sich Selicour, dessen Gerissenheit Maertens mit Streberbrille und strengem Scheitel zur Schau stellt, jenes entscheidende Memoire scheinheilig ausleihen, das ihn in den Botschafterposten hieven wird. Genau so, wie er dessen Sohn, Firmin junior (Gerrit Jansen), um ein romantisches Poem betrügen wird, mit dem er die Ministertochter (Yohanna Schwertfeger) bezirzen will. Maertens näselt herum, er rührt sich zuweilen selbst zu Tränen, windet sich dabei in heuchlerischen Tönen, seine Stimme schwillt sirenenhaft an, um am Satzende dann auszukeuchen. Mitleid für alle, die solche Bürogenossen haben!

Hartmann, der Der Parasit nach Bochum und Zürich nun zum dritten Mal neu inszeniert hat, lässt die mit Thomas Oberender erstellte Fassung auf drei Arten enden. Mit einem klugen Ergebnis: Durch das schlichte Vertauschen des Sprechtextes in der Schlussszene, in der sich der wahre Verfasser des Memoire outen, d. h. der Falschspieler enttarnt werden soll, wird die Schuldzuweisung komplex: Im braven, angepassten Firmin wird etwa der Mittäter sichtbar, und im erzürnten La Roche dessen eigenes Talent zur Intrige.

Der Parasit ist ein Feel-good-Abend, bei dem sich die Regie allzu sehr zurückhält. Die Schauspieler sind auch damit beschäftigt, Leerstellen zu überbrücken. Exquisit war allerdings der weltberühmte Silvesterwitz des Direktors. Er trug den Titel Der Hamster hat Waldverbot - und ist, ein Fluch seines Genres - leider nicht schriftlich zu vermitteln. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Printausgabe, 3.1.2011)