ÖH-Aktion "27.00 Hände" gegen die Kürzung der Familienbeihilfe vor dem Parlament - Warum nicht über eine Entkoppelung der Studienkosten von der Familie nachdenken?

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In den letzten Tagen wurde eine Optimierung des Stipendiensystems im Falle der Einführung von Studiengebühren für Studierende aus ökonomisch besser gestellten Haushalten diskutiert. Katrin Burgstaller meinte dazu in einem Kommentar im Online-Standard vom 14.12., dass wohlhabende Eltern kein Garant für die entsprechende finanzielle Unterstützung seien und dass in Kombination mit der Kürzung der Familienbeihilfe bis zum 24. Lebensjahr Studiengebühren die Situation der Betroffenen noch verschlimmern würden. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen.

Dass schon die derzeitige Kombination aus Stipendien und Familienbeihilfe nicht ausreicht, das Studium zu finanzieren, zeigt der Studierendensozialbericht: Im Jahr 2009 waren 62 Prozent der Studenten berufstätig, 45 Prozent davon sogar in einem Ausmaß von knapp 20 Wochenstunden. Drei Viertel der Befragten gaben an, dass die Berufstätigkeit zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts unbedingt notwendig sei. Zusätzlich eingeführte Studiengebühren, die zeitgleich zum Studium zu entrichten sind, erschweren die Studiumsfinanzierung noch mehr und könnten in der Tat für viele zur "Hürde" werden, wie Michael Amon an dieser Stelle am Samstag schrieb - selbst bei einem Ausbau des Stipendiensystems für diejenigen, die seitens ihrer Familie nicht entsprechend unterstützt werden.

Warum aber hat bisher niemand die Frage gestellt, ob es nicht einen Weg gäbe, das Studium familienunabhängig zu finanzieren? In einigen Staaten wie etwa Schweden, England und Australien wird ein System einkommensabhängiger Darlehen praktiziert, das - ergänzt um ein gut ausgebautes Stipendiensystem - die Absolvierung eines Hochschulstudiums entkoppelt von der finanziellen Lage der jeweiligen Familie ermöglicht und damit einen wichtigen Beitrag für eine sozial gerechte Expansion des tertiären Sektors leistet .

Wie funktioniert ein derartiges Darlehen? In der Regel deckt es einen wesentlichen Teil der Lebenshaltungskosten - einschließlich eventueller, Studiengebühren -, muss aber erst nach Abschluss des Studiums ratenweise zurückgezahlt werden,

Sollte das Einkommen der Absolventen dann einen bestimmten Betrag überschreiten, beginnt die Darlehensrückzahlung; fällt das Einkommen unter diese Grenze - etwa durch Arbeitslosigkeit -, wird die Rückzahlung ruhend gestellt. De facto stellt das Darlehenssystem somit einen Versicherungsmechanismus für Studierende dar, der zugleich einen Anreiz setzt, ein Hochschulstudium aufzunehmen.

Ein derartiges Kreditsystem würde zur Lösung gleich mehrerer aktueller Probleme in der österreichischen Hochschullandschaft beitragen: Selbst ohne Studiengebühren könnte die Studiumsfinanzierung von der sozialen Lage der Studierenden entkoppelt werden, nachdem in der Regel die Lebenshaltungskosten den größten finanziellen Brocken ausmachen. Ein Darlehenssystem könnte aber auch die notorisch hohen Dropout-Raten senken:

Im Rahmen der Umstellung auf Bologna wurde ja die Anwesenheitspflicht während des Studiums erhöht, was prinzipiell zu begrüßen ist, da dies die Studiumsdauer reduziert und damit potenziell auch die Abbruchsraten. Gleichzeitig werden durch die "Verschulung" aber auch die für die Studiumsfinanzierung notwendigen Nebenbeschäftigungen erschwert - mit der Konsequenz, dass die Beteiligung an Hochschulstudien niedriger ausfällt als potenziell möglich.

Werden dann auch noch Studiengebühren eingeführt, mutiert ein Darlehenssystem zum fast unverzichtbaren Bestandteil der Finanzierungsinstrumente, denn die Stipendien werden wohl kaum so erhöht werden, dass die daraus entstehenden Mehrkosten die zusätzlichen Einnahmen aus den Studiengebühren wieder kompensieren.

Selbst wenn nur Studierende aus "wohlhabenden" Familien von Studiengebühren betroffen wären, muss man sich ganz generell der Folgen einer verstärkten Familienabhängigkeit der Studiumswahl bewusst sein: Studentische Mobilität - sowohl hinsichtlich der Studienwahl als auch des Studienortes - wird erschwert. Ein Darlehenssystem dagegen macht es leichter, den eigenen Interessen zu folgen und dort zu studieren, wo das beste Angebot für die gewünschte Studienrichtung zu erwarten ist, es setzt deshalb indirekt Anreize für eine erhöhte Qualität der Hochschulstudien und es würde auch zur Finanzierung von Studierenden jenseits des 24. Lebensjahrs beitragen, so diese nicht im Idealfall als Doktoranden an der Universität angestellt sind.

Die Umsetzungsmodalitäten solch eines Darlehenssystems müssten natürlich noch genau geprüft werden, denn der Teufel steckt sicher auch hier im Detail. Dennoch beweisen bestehende Studiendarlehenssysteme in anderen Ländern, dass so ein Modell funktionieren kann, indem es - in Verbindung mit einem gut ausgebauten Stipendienwesen - sowohl Anreize für einen verstärkten Hochschulbesuch setzt als auch Möglichkeiten für eine sozial gerechte erhöhte private Finanzierung bietet. (Jürgen Jange, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.12.2010)