Giant Sand "Blurry Blue Mountain" (Fire Records)

"They have been killing all my heroes since I was seventeen ... Such young fresh folk look to me as path finder ", räsoniert Howe Gelb zu faulen Gitarren und Beserlschlagzeug im Opener des jüngsten Albums seiner Band Giant Sand, "Blurry Blue Mountain". Die elegische Stimmung kommt nicht von ungefähr. Immerhin 25 Jahre ist es her, dass die Gruppe, aus der unter anderem Calexico als Ableger hervorgehen sollten, ihr Debüt veröffentlicht hat. Ein Vierteljahrhundert, in dem Gelb als musikalischer Seiltänzer immer für unerwartete, musikalische Haken gut war, die sich nicht wirklich unter dem oft bemühten Etikett Desert Rock subsumieren lassen.

Auf "Blurry Blue Mountain" präsentiert sich Gelb konzentriert und entspannt zugleich. Zwischendurch darf es zwar auch schon mal lauter werden, meist regiert aber Back-Porch-Atmosphäre. Durch und durch herzwärmend, das alles. Und wer Lust auf mehr bekommt: Die bisherigen Giant-Sand-Alben werden anlässlich des Jubiläums sukzessive neu aufgelegt.

Foto: Fire Records

Black Dub "Black Dub" (Sony Music)

Für sein jüngstes Band-Projekt in Zeichen von Soul und hypnotischen Grooves hat sich der frankokanadische Erfolgsproduzent Daniel Lanois (u.a. Bob Dylan, Emmylou Harris, U2, Neil Young) zwei treue Weggefährten an Bord geholt, die sich auf die unwiderstehliche Rhythmik des US-amerikanischen Südens verstehen wie wenig andere: den in Rock- wie Jazz-Gefilden hoch geschätzten Drummer Brian Blade und den ebenfalls in New Orleans beheimateten Bassisten Daryl Johnson. Als Sängerin mit dabei ist die wunderbare Entdeckung Trixie Whitley, Tochter des viel zu früh verstorbenen Blues-Musikers Chris Whitley.

Erst nachdem sich Lanois von seinem schweren Motorradunfall erholt hatte, konnte ein Studio-Album der Formation veröffentlicht werden, die zuvor bereits mit YouTube-Videos von verschiedenen Live-Performances für die Aufmkersamkeit u.a. eines gewissen Neil Young und der Einladung desssen Solo-Album zu produzieren gesorgt haben. Wie Young versteht sich Lanois auf ein hoch atmosphärisches, geradezu skulpturales Gitarrenspiel jenseits aller Griffbrettartistik. Wirkt das Debüt-Album von Black Dub mit seinen komplexen Loops auch geschliffener als die Live-Videos, ist der Formation dennoch ein überzeugendes, dunkel schillerndes Amalgam aus Soul, Blues, Rock, Reggae und Dub gelungen, das eine ganz eigene Trance-artige Wirkung entfaltet.

Foto: Sony Music

Richard Thompson "Dream Attic" (Proper)

Dass der Singer/Songwriter und Meistergitarrist Richard Thompson entgegen seinem "doom and gloom"-Image ein hinreissender Live-Performer ist, der vor allem auf Konzertbühnen zur Höchstform aufläuft, kann längst als erwiesen gelten. Was lag also näher, neue Songs statt auf einem konventionellen Studioalbum einmal in Form einer Live-CD zu präsentieren, noch dazu mit der Aussicht, Studiokosten zu sparen?

Das Ergebnis dieser Überlegungen, "Dream Attic", eingespielt mit einer hochkarätigen Band um den Multi-Instrumentalisten Pete Zorn und Drummer Michael Jerome (John Cale) bei Konzerten unter anderem in der geschichtsträchtigen Great American Music Hall in San Francisco, darf als eines der besten Alben des einstigen Fairport-Convention-Mitbegründers gelten. Ob bei der bitterbösen Banker-Satire "The Money Shuffle" oder dem elegischen "A Brother Slips Away", Thompson beweist einmal mehr, warum er als herausragender Songwriter gilt. Als Gitarrist ist der Mann ohnehin über jeden Zweifel erhaben, und die Live-Situation garantiert auch eine Extraportion Furor in Thompsons Stimme. Eine einzige Hoffnung hat sich hinsichtlich "Dream Attic", dem in der Erstauflage auch eine CD mit nicht weniger spannenden Demoversionen beiliegt, nicht erfüllt: das Live-Album hat letztlich genauso viel gekostet, wie auch eine Studioproduktion verschlungen hätte.

Foto: Proper

Robert Plant "Band Of Joy"

Auch 2010 hat sich Robert Plant nicht zu einer Led-Zeppelin-Reunion erweichen lassen und stattdessen seine Wurzelsuche fortgesetzt. Zwar hat die Chemie mit Bluegrass-Star Alison Krauss, mit der er drei Jahre zuvor den Überraschungserfolg "Raising Sand" landete, im Studio offenbar nicht mehr ganz gepasst, so dass die Singer/Songwriterin Patty Griffin die Harmony Vocals und eine insgesamt zurückhaltendere Rolle übernahm. Die stilistische Vielfalt ist dafür breiter geworden. Neben jeder Menge Americana-Material, unter anderem von Los Lobos und Townes Van Zandt, kommen etwa mit Richard Thompsons "House Of Cards" Brit-Folk-Klänge ins Spiel, wie sie schon in Zeppelin-Tagen (Stichwort Sandy Denny!) immer wieder auftauchten. Mit dem schwer auf Tremolo-Pfaden wandelnden Nashville-Gitarristen Buddy Miller hat Plant erneut einen kongenialen Co-Produzenten gefunden. Und ja, macht sie gut, die einstige Rock-Rampensau, raunend im Swampland. Rock on, Robert!

Foto: Universal

Elvis Costello "National Ransom" (Universal)

Noch ein Alter, der auf seinem jüngsten Album eine Art Quersumme zieht und es geschafft hat, in alten Songformen Gültiges über das Hier und Jetzt zu sagen: Elvis Costello, in seinen Anfängen gern dem Punk-Umfeld von Stiff Records zugeschlagen, hat sich einmal mehr nach Nashville begeben und unter den Fittichen seines alten Weggefährten T Bone Burnett, mit dem er auch schon mal als "Coward Brothers" durch die Lande tourte, "National Ransom" eingespielt. Und zwar gleich mit zwei Bands, den Imposters, dem heutigen Äquivalent seiner Rock-Combo The Attractions, und mit den Sugarcanes, hochkarätigen Instrumentalisten mit Bluegrass-Credibility. Wie das alles zusammengeht, wie Costello giftige Texte in zuckersüße Musik verpackt und umgekehrt, zeugt vom ungebrochenen Talent des Briten.

Foto: Universal

Jenny and Johnny "I'm Having Fun Now" (Warner)

Der Titel ist hier Programm, von der ersten bis zur letzten Nummer. Die stets wunderbare Jenny Lewis (Rilo Kiley!) und der Singer/Songwriter Jonathan Rice gehen mit unüberhörbarer Spielfreude zur Sache, schnell dahin treibende Gitarren, perfekte Harmony Vocals, schön scheppernde Drums und Melodien, die nicht so leicht aus dem Ohr gehen, erinnern an die Replacements, Garagen-Rock, Surf Music und Power Pop ebenso wie an die Cosmic American Music von Gram Parsons und den Byrds. Dass Lewis ihren Lebensabschnittspartner, dem sie mit Jenny und Johnny wohl auch eine Plattform bieten wollte, klar in den Hintergrund drängt, sobald sie ihre Stimme erstrahlen lässt, braucht uns nicht weiter zu kümmern. Die Mischung passt hier nämlich und sorgt unweigerlich für gute Laune - auch im Jahr 2011.

Foto: Warner

Jim Campilongo "Orange" (Blue Hen Records)

Als "Orange", das jüngste Album des Gitarristen Jim Campilongo, Anfang 2010 erschien, hat der Gitarrenriese Fender passend dazu orangefarbene Princeton-Verstärker herausgebracht. Ein Signature-Model seiner liebsten Gitarre, einer mittlerweile einigermaßen mitgenommenen 1959er Telecaster, gab es ebenso. Verdiente Anerkennung für einen Musician's Musician also, der unter anderem auf Alben von Martha Wainwright und Teddy Thompson zu hören ist und bei den Little Willies für notwendige musikalische Schräglagen sorgte. Live sorgt Campilongo Montag für Montag im New Yorker Club Living Room auf der Lower East Side mit seinem Trio für Verzückung bei Gitarren-Aficionados.

Zwar gibt es auch auf "Orange" jede Menge Stoff, die Gitarristen die Kinnlade nach unten fallen lässt, vom Detuning von Saiten, die sich um eine Oktave runtergestimmt plötzlich anhören wie Riemen, die von gigantischen Maschinen abzuspringen drohen, bis zu pfeifenden Pinch Harmonics, mit denen Campilongo etwa im "Blues for Roy" dem ultimativen Tele-Master Roy Buchanan Reverenz erweist. Tatsächlich ist "Orange" aber eben ein Album, das sich nicht nur an Gitarrenfans wendet.

In vielen Momenten entfaltet Campilongos Gitarrenspiel richtiggehend vokale Qualitäten. Nicht hohle Pyrotechnik ist hier angesagt, sondern eine Spielweise, die sich ganz in den Dienst der Songs in Gangarten von lyrisch bis ruppig stellt. Dies gilt nicht nur für die Instrumentals, sondern auch für die zwei von der New Yorker Sängerin Leah Siegel interpretierten Songs: ein Cover des Stones-Klassikers "No Expectations" sowie eine unheimliche Version des Stooges-Songs "No Fun", die gehört werden will.

Foto: Blue Hen

Shelby Lynne "Tears, Lies and Alibis" (Everso)

Da Shelby Lynne nicht nur eine talentierte Singer/Songwriterin ist, sondern auch weiß, was sie will und sich nicht gerne dreinreden lässt, auch nicht von Platten-Majors, hat die Schwester von Allison Moorer für ihr jüngstes Album gleich ein eigenes Label gegründet. Ein Schachzug, der sich ausgezahlt hat: "Tears, Lies and Alibis", eingespielt im Heimstudio und in den berühmten Muscle Shoals Studios mit Musikern wie Keyboard-Legende Spooner Oldham und dem Gitarristen John Jackson, ist frei von der Hochglanzpolitur vieler vergleichbarer Produktionen. Wie hier bereits gesagt wurde: Wer es schafft, eine Liebeserklärung an mythenumwobene US-Wohnwägen ("Something to Be Said About Airstreams") in eine ganz und gar unpeinliche, berührende Hymne an die Rastlosigkeit und Freiheit zu destillieren, muss eine Gute sein.

Foto: Everso

Marc Ribot "Silent Movies" (Pi Recordings)

Nicht als klassischen Soundtrack, sondern als "Musikstücke, die selbst wie ein Film sind", will Gitarren-Abenteurer Marc Ribot sein jüngstes Solo-Album "Silent Movies" laut Interview verstanden wissen. Mit nur wenigen Tönen auf akustischen wie elektrischen Gitarren schafft es der New Yorker Musiker, Filme im Kopf des Hörers zu evozieren. Für sparsame Ergänzungen mit Soundscapes holte Ribot Keefus Ciancia ins Studio, wo die Stücke mit anspielungsreichen Titeln wie "Flicker" oder "Solaris" weitgehend ohne Overdubs und unter dem Einsatz von teils historischem Equipment eingespielt wurden. Mit den 13 Titeln von "Silent Movies", das ursprünglich "Blind Movies" heißen sollte, hat Ribot höchst eindringliche und dabei leicht zugängliche Lehrstücke musikalischer Ökonomie geschaffen - ein Meister auf der Höhe seiner Kunst.

Foto: Pi Recordings

Mavis Staples "You Are Not Alone" (Anti)

Die späte Renaissance der einstigen Lead-Sängerin der legendären Staples Singers, die bereits in den 60er Jahren ungeahnte Crossover-Erfolge im Spannungsfeld von Soul, Gospel und Folk landeten, ist kaum weniger eindrucksvoll als jene von Country-Ikone Johnny Cash. War es bei Cash Produzent Rick Rubin, der für die Initialzündung einer breiten Wiederentdeckung sorgte, half im Fall von Mavis Staples Slide-Gitarrengott und Musikarchäologe Ry Cooder 2007 mit der Produktion von "We'll Never Turn Back" einer bis in die 50er Jahre zurückreichenden Karriere wieder auf die Sprünge.

Nach einem großartigen Live-Album ("Hope At The Hideout") ist "You Are Not Alone" bereits das dritte Album, das Staples für das Label Anti (Tom Waits!) eingespielt hat. Geburtshelfer war dieses Mal ein wie Staples in Chicago beheimateter, prominenter Fan: Wilco-Mastermind Jeff Tweedy, der klugerweise für seine Produktion ganz auf Staples' formidable Live-Band um den kongenialen Gitarristen Rick Holmstrom vertraute. Eine perfekte Songauswahl von Staples-Singers-Klassikern über Songs von John Fogerty und Randy Newman bis zu Tweedys eigens für Staples geschrieben Stücken wie dem Titelsong "You Are Not Alone" tat ein Übriges, um den markanten Gesang der Gospel-Soul-Gigantin zum Strahlen zu bringen: Das Album des Jahres 2010! (glicka, derStandard.at, 10. Jänner 2011)

Foto: Anti