Wien - An die große Glocke hängt die Regierung die Sache nicht. Ohne Präsentation veröffentlicht das Sozialministerium am Mittwoch den neuen Sozialbericht - und damit Daten, die vor dem Beschluss des Sparbudgets für missliebige Stimmung sorgen könnten.

Der Report, der dem Standard vorliegt, belegt etwa, dass jeder fünfte Haushalt mit mindestens drei Kindern von Armut bedroht ist - die Folgen von Krise und Kürzungen der Familienleistungen noch nicht eingerechnet. Überdurchschnittlich betroffen sind auch Haushalte mit mindestens einem Nicht-EU-Ausländer (26 Prozent) und vor allem Alleinerzieher (29 Prozent). Fast 60 Prozent der Kinder und Erwachsenen in dieser Konstellation mussten in den letzten vier Jahren schon einmal mit einem Einkommen unter der Schwelle für Armutsgefährdung (60 Prozent des Medianeinkommens) das Auslangen finden.

Insgesamt sind mit Stand 2009 eine Million Menschen, davon 239.000 Kinder, armutsgefährdet, ergo 12,4 Prozent der Bevölkerung - die Quote ist seit Jahren konstant. 247.000 Personen gelten als "working poor", fallen also trotz Arbeit in die Risikogruppe.

Politisch brisant sind auch die Daten zu den Vermögen, deren höhere Besteuerung umstritten ist. Beliebtes Gegenargument: Der breite Mittelstand werde belastet.

Der Sozialbericht zeigt diesbezüglich einen Krisenknick: 2009 brachen die Vermögenseinkommen der privaten Haushalte von 33 Milliarden auf 16 Milliarden ein. Trotz des temporären Absturzes sind die Erträge aus Vermögen und Unternehmen seit 2001 mit im Schnitt vier Prozent pro Jahr aber immer noch deutlich stärker gewachsen als die Arbeitnehmerentgelte (3,2 Prozent).

Wachsende Kluft

Das Bruttogeldvermögen wuchs in den letzten 30 Jahren um das 1,7-Fache des Bruttoinlandsproduktes. Heute halten die privaten Haushalte 440 Milliarden Euro, an Immobilienbesitz kommt noch einmal das Doppelte dazu. Laut Daten der Nationalbank, deren Experten das entsprechende Kapitel verfasst haben, ist dieses Vermögen stark auf eine Oberschicht konzentriert. Das oberste Fünftel der Haushalte hält 75 Prozent des Immobilienvermögens, das Top-Zehntel immer noch 61 Prozent. Vom Wert der "Nebenimmobilien", die vom Eigentümer nicht selbst genutzt werden, halten die oberen zehn Prozent überhaupt gleich 85 Prozent. Umgekehrt besitzen 41 Prozent der Haushalte gar kein Immobilienvermögen.

Selbst das per biederem Sparbuch gebunkerte Geld ist sehr ungleich verteilt: Nur zwei Prozent der Sparbücher weisen laut Bankenstatistik Einlagen über 50.000 Euro auf. Auf diese Minigruppe entfällt ein ganzes Drittel der Spareinlagen von 159 Milliarden.

Eine große - und wachsende - Kluft identifiziert der Sozialbericht auch bei den Arbeitseinkommen. Das oberste Fünftel der Arbeitnehmer vereint bereits 47 Prozent des gesamten Einkommens auf sich, vor 30 Jahren waren es "nur" 40 Prozent. Der Anteil des untersten Fünftels ist im Gegenzug von 4,8 auf 2,1 Prozent geschrumpft. Zwischen den Branchen wächst ebenso die Ungleichheit: Wer in der Sachgüterindustrie werkt, freut sich über deutlich stärker wachsende Einkommen als in der Dienstleistungsbranche.

Ein großer Unterschied klafft auch zwischen Unselbstständigen und Selbständigen. Das Bruttojahreseinkommen Letzterer beträgt im Durchschnitt knapp 52.000 Euro. Die unselbständigen Ganzjahresbeschäftigten kommen lediglich auf 23.100 Euro im Jahr. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2010)