Ein Klassenraum in der Regenbogenschule, hier machen SchülerInnen gerade ihre Arbeitsaufgaben nach einer Impulslernphase.

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"Vieles von dem werden wir übernehmen können, wenngleich nicht in der Radikalität", sagt Harald Walser im Gespräch mit der Schulleiterin einschränkend.

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Im Sommer nutzen die Kinder des Regenbogenhaus den Garten als erweiterten Schulraum.

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Lerninhalte der klassischen Nebenfächer werden im KLEX verschränkt vermittelt. Ein Ergebnis des Blocks zur Frühgeschichte: Ein Özi-Double.

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Auch nutzt man im Klex die Vorzüge der Stadt Graz. Inspiriert von den Skulpturen von Franz West, die sie gemeinsam in einer Ausstellung im Kunsthaus gesehen haben, schaffen die Schülerinnen ihre eigenen Skulpturen.

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Eine weitere Skulptur, die sich an West orientiert.

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Es ist früh am morgen am Bahnhof Meidling, der grüne Nationalratsabgeordnete und Bildungssprecher Harald Walser macht sich mit einem Mitarbeiter Richtung Graz auf. Dort will er gemeinsam mit der Landtagsabgeordneten Ingrid Lechner-Sonnek zwei alternative Schulen besuchen. Die für Österreich katastrophalen Ergebnisse der Pisa-Studie von letzter Woche reisen mit. Wieder einmal sank Österreichs Bildungsleistung im internationalen Vergleich.

"Grüne Schule"

Weniger Notendruck, das Abschaffen des Sitzenbleibens, eine möglichst lange gemeinsame Schule - das sind nur ein paar Schlagworte, die sich im Programm der "Grünen Schule" wiederfinden. Chancengerechtigkeit, Lernfreude und Persönliche Bestleistungen sind die positive Zielvorgaben.

Die Grünen wollen dieses Profil in Sachen Bildung schärfen. Im Sommer wurde ein koordinierender Mitarbeiter eingestellt, er soll die Aktionen auf Bundes- wie auf Landesebene bündeln. In den nächsten Wochen und Monaten reisen Grünpolitiker durchs Land und lassen sich inspirieren von funktionierenden und gescheiterten Projekten, von heute schon praktizierten Alternativen zu Hauptschule, Neuer Mittelschule, Sonderschule und Gymnasium.

Besuch an der Basis

Es sind diese Besuche an der Basis, bei denen die Politiker ihre Vorstellungen mit der Realität des Alltags abstimmen wollen und müssen. Funktioniert das, was in den Büros der Parteien erarbeitet wurde, schon irgendwo in der Realität? An diesem Freitag stehen das Regenbogenhaus - eine private Schule - und eine Expositur der Neuen Mittelschule Klusemannstraße, das KLEX, auf dem Programm.

Villa Kunterbunt in der grünen Mark

Das Regenbogenhaus ist eine alternativen Volksschule und ein Kindergarten in Graz-Andritz und Teil der "Plattform Freie Schulen Steiermark". Rund 20 Kinder und eine Kindergartengruppe verbringen hier den Tag. Die Schule erinnert ein wenig an die Villa Kunterbunt in Astrid Lindgrens Buch Pippi Langstrumpf. Das bunte Haus ist verwinkelt und lebhaft, im Sommer nutzen die Kinder den Garten als erweiterten Schulraum. Klar abgetrennte Klassenzimmer gibt es nicht, alles verläuft sich im Haus. Inmitten des Gartens steht ein alter, bemalter VW-Bus - fast schon ein Klischee zu viel.

Keine klassische Schule

Es ist kein klassischer Alltag, der die Schule prägt. Selbstbestimmung steht hier an oberster Stelle. Die SchülerInnen dürfen sich aussuchen was, wann und wo sie lernen oder ob sie lieber spielen wollen. Das Haus ist ein offener Lern- und Lehrraum, Unterrichtsmaterialien und Utensilien zum spielerischen Lernen stehen in unterschiedlichster Form zur Verfügung. Inspirieren lassen hat sich die Schulleiterin Doris Baumann-Rudloff bei der Gründung ihrer Schule unter anderem von der Montessori-Erziehung, dem Glockseelehrplan oder Erkenntnissen der Neurobiologie.

Die grüne Delegation, ein wenig einer Findungskomission gleich, lässt sich den Alltag erklären. Drei Jahre lang steht es den Schülern mehr oder weniger frei wie sie lernen. Im letzten Schuljahr, der 4. Schulstufe, werde in einem "Crashkurs" in kurzen, klaren Impulsreferaten Wissen transportiert. Dabei werden Lerninhalte intensiv in 15 Minuten vermittelt und anschließend in Übungen gefestigt.

"Indianerrat" und Umsetzungsmöglichkeiten

Wichtiger Bestandteil des Regenbogenhaus ist der "Indianerrat", das Wochenplenum. Dabei wird der Schulablauf, Vorschläge und mögliche Projekte besprochen. Basisdemokratie und Selbstbestimmung - vieles erinnert an alternative Schulformen der Reformpädagogik wie Summerhill. Es ist ein Gegenentwurf zum herrschenden Schulsystem. "Vieles von dem werden wir übernehmen können, wenngleich nicht in der Radikalität", sagt Harald Walser im Gespräch mit der Schulleiterin einschränkend.

Nach zwei Stunden muss der grüne Troß weiter. Im Zentrum von Graz ist das KLEX. Die Schule ist ein Ableger der Neuen Mittelschule Klusemannstraße (daher der Name KLusemann EXtern), der verschränkten Unterricht und offenes Lernen zum Schwerpunkt gemacht hat. In einer Broschüre wird die Schule als "Ganztagsschule mit veränderter Zeitsstruktur" angepriesen.

Kein Frontalunterricht

Anders als im Regenbogenhaus, ist diese Schule eine staatliche Schule, die erst mit diesem Schuljahr ihre Pforten öffnete. Insgesamt 47 Schülerinnen und Schüler werden derzeit hier in zwei Klassen unterrichtet. Vor einem Jahr wusste man noch nicht ob das Projekt zu Stande kommen kann. Im Unterschied zu gewöhnlichen staatlichen Schulen, steht hier nicht der Frontalunterricht im Vordergrund, vielmehr können sich die SchülerInnen  - ähnlich dem Regenbogenhaus - aussuchen was sie wann und wie lernen und bearbeiten wollen. Die klassische Zeiteinteilung einer Neuen Mittelschule wurde an dieser Schule aufgebrochen. In Deutsch, Englisch und Mathematik stehen täglich zusammen eineinhalb Stunden Lernzeit zur Verfügung.

Kunst und Können

Hier sind zumindest zwei Lehrer aus den betreffenden Fächern anwesend, in sogenannten Mindmaps - grob übersetzt sind es Lernziele - wird festgelegt was die Schüler bis zu einem gewissen Datum lernen sollen. Hinzu kommen auch Schularbeiten. Danach kommt eine Phase des verschränkten Unterrichts. Hierbei werden Lerninhalte über Fächergrenzen hinweg gebündelt und über Wochen intensiv erarbeitet. Dieses Jahr stand beispielsweise schon die Steinzeit auf dem Programm, ein mit Fellen bekleidetes Ötzi-Double begrüßt die Gäste am Gang der Schule. Was in Gymnasien und Neuen Mittelschulen in einzelne Unterrichtsstunden aufgeteilt wird, ist hier zusammengelegt. Verknüpfungen und Parallelen zwischen den Fächern können so besser herausgearbeitet werden.

Work in Progress

Noch ist das KLEX nicht fertig. Es fehlen Computer, und es ist unsicher, wieviel Platz die Schule in den nächsten Jahren haben wird. Im Haus gibt es nämlich noch ein Abendgymnasium, mit dem man sich heute schon einige Räume teilen muss. Die Lehrer sind gleichzeitig Gestalter ihrer Unterrichtsumgebung. Während die ersten Klassen schon unterrichtet werden, werden Projekte, Lehrpläne und Strukturen für die nächsten Jahre geplant. Die Schule wie der Lehrplan ist ständig in Bewegung, ohne engagierte, zur Veränderung bereite Lehrer gäbe es beide Schulen nicht.

Einzig Sport, die kreativen Fächer und Religion werden alleine unterrichtet. Neben zwei Klassenräumen, gibt es ein Wohnstudio mit gemütlichen Möbeln, einer Rückzugsecke und einem großen Teppich. Hier hat es sich ein Schüler über einem Buch gemütlich gemacht. Er fühlt sich sichtlich wohl. Für die Grünen bedingt eine veränderte Schule auch eine neue Raumstruktur. In einem normalen Klassenraum würde ein Schüler es sich nie so gemütlich machen, betont Walser.

Eindrücke gesammelt

"Da haben wir schon Elemente der grünen Schule gesehen", sagt Harald Walser zu seinem Mitarbeiter nach Verlassen der Schule. Walser ist selbst Direktor eines Gymnasiums in Vorarlberg, das Regelschulsystem und seine Schwächen kennt er. Vor allem im Verwaltungsbereich sieht Walser massive Einsparungspotenziale, zu wenig Geld komme bei den Schülern in den Klassen an. Kritik übt Walser auch an der Neuen Mittelschule. Ihre Einführung führe nicht zu einer Vereinfachung des Schulsystems, man habe nun vier anstelle einer Schulformen samt der jeweiligen Verwaltung.

Gemeinsam haben beide Grazer Schulen, dass sie in ihren Modellen vorwiegend jene Kinder unterrichten, deren Eltern vorwiegend aus der Mittelschicht kommen und sich für eben solche Konzepte interessieren. Das wird sich wohl auch nicht so schnell ändern. Die Nebenkosten der Schulen sind für sozial schwache Familien nicht leistbar, der Zugang bleibt verwehrt. "Dann muss es gratis sein", sagt Walser. Bislang reproduziert sich die Mittelschicht selbst, in einer idealen "grünen Schule" sollen alle die gleichen Chancen haben. Bis dahin reisen die Grünen durchs Land. Sie können sich Zeit lassen, die österreichische Schulpolitik tut es bislang auch. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 15.12.2010)