Pädagogin Lex-Nalis hält Kinder in anderen Ländern keineswegs für begabter. Bloß: "Bei uns wird auf jene, die Unterstützung brauchen, zu wenig eingegangen."

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STANDARD: Waren Sie überrascht von den Pisa-Ergebnissen?

Lex-Nalis: Nein, was hätte sich ändern sollen? Die Maßnahmen, die in Angriff genommen wurden, können sich noch nicht auswirken.

STANDARD: Welche Maßnahmen wirken sich schon positiv aus?

Lex-Nalis: Nach der letzten Pisa-Studie wurden das verpflichtende Kindergartenjahr und das Sprachstands-Screening eingeführt. Voriges Jahr haben wir damit festgestellt, dass 25 Prozent der Kinder Förderbedarf haben.

STANDARD: Reicht das, um in zehn Jahren gute Ergebnisse zu erzielen?

Lex-Nalis: Die Umsetzung gelingt nicht gut genug. Die Pädagogen sind unzureichend ausgebildet und die Gruppen zu groß.

STANDARD: Was sollte sich sofort am Bildungssystem ändern?

Lex-Nalis: Wir brauchen dreimal so viel Personal, als wir derzeit haben.

STANDARD: Ist nicht Geld das logische Killer-Argument?

Lex-Nalis: Es geht immer ums Geld. Wir brauchen doppelt so viel, damit wir im OECD-geforderten Durchschnitt sind. Finnland, Schweden, Dänemark haben dreimal so viel Geld für den Elementarbereich.

STANDARD: Warum ist die Lesefähigkeit von Österreichs Kindern so besonders schlecht ausgeprägt?

Lex-Nalis: Ich glaube nicht, dass Kinder in anderen Ländern begabter sind. Bei uns wird auf jene, die besondere Unterstützung brauchen, zu wenig eingegangen. Die Pädagogen fühlen sich nicht zuständig fürs Entdecken der individuellen Stärken und Schwächen.

STANDARD: Wäre die Gesamtschule besser geeignet?

Lex-Nalis: Eine Schule, in die alle Kinder gehen, hat auf jeden Fall Vorteile. Lehrer können nicht sagen: Bei mir passt dieses Kind nicht, das muss in eine andere Einrichtung. Eine Gesamtschule, wie ich sie mir vorstelle, fördert die unterschiedlichen Begabungen und Interessen der Kinder.

STANDARD: Drei Viertel der Risikoschüler sind einheimische Kinder. Was sagt das aus?

Lex-Nalis: Dass wir nur für jene Kinder gut sind, die zu Hause schon gut gefördert werden. Wir haben weder die Pädagogen, die dafür ausgebildet sind, noch die Ressourcen, um allen Kindern Chancen zu geben.

STANDARD: Reicht ein Kindergartenjahr, um alle Kinder auf ein ähnliches Niveau zu heben?

Lex-Nalis: Nein. Ein Jahr ist besser als nichts, aber im Alter von fünf Jahren ist es für vieles schon zu spät. Zwei verpflichtende Kindergartenjahre und mehr Anreize für die Eltern wären ideal: ganztägige, ganzjährige Öffnungszeiten, Mittagessen sowie geringe Kosten, damit jedes Kind Zugang hat.

STANDARD: Was können Kinder in diesem Alter - die also zwischen zwei und sechs Jahre alt sind - lernen?

Lex-Nalis: Sie lernen die Basics, die sie für ihre weitere Bildungslaufbahn brauchen: fokussieren, zuhören, argumentieren, eigene Ideen umsetzen, Konflikte austragen und auch Frustrationen aushalten.

STANDARD: Wird in unseren Kindergärten zu viel gespielt?

Lex-Nalis: Vom elementarpädagogischen Verständnis her ist Spiel die Arbeit für Kinder. So lernen sie etwas zu beginnen und zu beenden, sich selber einzuschätzen. Nur greifen die Angebote, die wir haben, nur bei den Kindern, die ohnehin zu Hause gefördert werden.

STANDARD: In Österreich ist der Kindergartenbereich - im Gegensatz zu anderen Ländern - nicht dem Bildungsministerium zugeordnet.

Lex-Nalis: Er ist in der Kompetenz der Länder, mit neun Ländergesetzen und zigtausend Bürgermeistern. Der Kindergarten ist die erste Bildungseinrichtung und gehört somit ins Bildungsministerium.

STANDARD: Was bringt die "Lehrerausbildung neu" ?

Lex-Nalis: Alle pädagogischen Berufe schließen mit demselben akademischen Grad ab, später folgt die Differenzierung. Die alte Formel "Je jünger die Kinder, umso geringer die Ausbildung" wird dadurch aufgehoben, und die Pädagogen bleiben nicht mehr ihr ganzes Leben lang in der Volksschule oder im Kindergarten, das ist ja öd. Ich hatte Lehrerinnen, die mich gebeten haben, sie als Schulwart einzusetzen, weil sie nicht mehr in die Klassen gehen wollten. Die neue Ausbildung ermöglicht Wechsel. Das ist eine riesige Verbesserung!

STANDARD: Ist Österreich also auf dem richtigen Weg?

Lex-Nalis: Ich glaube ja. (Julia Herrnböck/DER STANDARD-Printausgabe, 13.12.2010)

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