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"Hier ist die Türkei heute gefordert", sagte Wallraff (li.) vor dem Beginn des Prozesses

Foto: REUTERS/Murad Sezer

Istanbul - Vor dem Schwurgericht in der türkischen Metropole Istanbul begann am Mittwoch der Prozess gegen den türkischstämmigen deutschen Schriftsteller Dogan Akhanli. Ihm wird die Beteiligung an einem tödlichen Raubüberfall im Oktober 1989 an einem Besitzer einer Wechselstube in Istanbul vorgeworfen, bei einer Verurteilung droht dem 53-Jährigen lebenslange Haft. 

Der Autor lebt seit seiner politisch motivierten Flucht aus der Türkei im Jahr 1991 in Deutschland und hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Akhanli wurde am 10. August auf einem Flughafen in Istanbul festgenommen. Er war in die Türkei gereist, um seinen todkranken Vater zu treffen, der Ende November gestorben ist. Er hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Seine Anwälte haben erklärt, die Beschuldigungen gegen den politisch missliebigen Autor seien konstruiert und unter Folter erpresst, später aber widerrufen worden.

Akhanlis Anwälte haben zum Prozessauftakt alle Vorwürfe zurückgewiesen und verlangten einen Freispruch. Das Gericht entschied am Mittwoch, ihn aus der Untersuchungshaft im westtürkischen Tekirdag zu entlassen; ein dringender Tatverdacht sei nicht gegeben. Der Prozess soll am 9. März fortgesetzt werden.

Da das Gericht keine Auflagen verhängte, könnte Akhanli jederzeit nach Deutschland zurückkehren.  Zunächst wolle er sich in der Türkei mit Geschwistern treffen, die er seit langem nicht mehr gesehen habe, sagte die zur Unterstützer-Delegation für Akhanli gehörende Düsseldorfer Anwältin Gülsen Celebi am Donnerstag. Ein Termin für die Rückkehr in die Bundesrepublik stehe noch nicht fest. Akhanli wurde noch am Mittwochabend aus der Haftanstalt entlassen. Dann habe er erst einmal mit seinen Freunden gefeiert, sagte Celebi.

"Kräftemessen im Gange"

Amnesty International und deutsche Diplomaten verfolgen den Prozess - und auch eine Delegation von rund 20 Vertretern von Schriftstellervereinigungen, Menschenrechtsgruppen und Parteien aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Unter ihnen der Journalist Günter Wallraff, der den Strafprozess als Testfall für die Demokratisierung in der Türkei bezeichnet hat: "Wenn die Rechtstaatlichkeit berücksichtigt wird, muss er freikommen. Und das erwarte ich. Er ist ein Kollege, der unschuldig inhaftiert ist."

"Hier ist die Türkei heute gefordert", sagte Wallraff vor dem Beginn des Prozesses. In der Türkei sei ein "Kräftemessen im Gange" sagte Wallraff. Es gebe Kräfte, die gegen einen EU-Beitritt des Landes seien, und es gebe Teile der Justiz, "die nicht wahrhaben wollen, das dies eine neue Zeit ist". Nach Angaben von Wallraff wird die Verteidigung zwei Zeugen präsentieren, die Akhanli laut Anklageschrift belastet haben, die aber inzwischen ihre Aussagen widerriefen. Einer dieser Zeugen hat angegeben, unter Folter ausgesagt zu haben.

Der aus dem Nordosten der Türkei stammende Akhanli wurde nach dem Militärputsch von 1980 mehrere Jahre inhaftiert. 1991 floh er nach Deutschland, wo er als politischer Flüchtling anerkannt und ein Jahrzehnt später eingebürgert wurde. Die Staatsanwaltschaft behauptet, der Überfall auf eine Wechselstube, bei dem ein Mensch starb, sei Teil eines Umsturzversuches einer linksextremen Gruppe gewesen, zu dessen Anführern Akhanli gezählt habe.

Türkische Intellektuelle setzen sich ebenfalls für Akhanli ein. Sie sehen den Prozess als Spätfolge des Putsches von 1980, der sich vor allem gegen die Linke in der Türkei richtete. In den vergangenen Jahren engagierte sich Akhanli  besonders in der Aufarbeitung von Gewalt und Völkermord und thematisierte dabei auch die türkischen Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. (APA)