Mehr als ein Jahrzehnt Importstopp musste wohl so enden. Es ist Boomzeit, seit die türkische Regierung kurz vor dem muslimischen Opferfest im November die Einfuhrsperre für Lebendrinder und Schlachtfleisch aus Österreich, die sie im Gefolge der BSE-Krise von 1996 verhängt hatte, zum Großteil aufhob.

"Wir können die Nachfrage gar nicht decken. Wenn sie könnten, würden sie alles aufkaufen", sagte ein Vertreter von Steininger, einem der größten Schlachthöfe Österreichs, am Rand einer Marktsondierungsreise in die Türkei. Der Ansturm türkischer Importeure auf österreichische Schlachthöfe hat den Preis für Rindfleisch deutlich in die Höhe getrieben. Der Abnahmepreis stieg um rund 40 Cent und lag zuletzt bei 3,60 Euro das Kilo. Supermarktkunden in Österreich werden die Teuerung beim Rindfleisch bald spüren.

Internationale Großvieh- und Fleischexporteure wie Klinger aus Niederösterreich berichten von Engpässen bei Kühltransportern. Die Fahrtkosten in die Türkei hätten sich deshalb verdoppelt. Klinger schickt diese Woche seinen ersten großen Lkw-Konvoi mit 660 Zuchtrindern in die Türkei.

Der Run auf die Rinder ist das augenfälligste Beispiel für den enormen Nachholbedarf der türkischen Landwirtschaft und die neuen erheblichen EU-Mittel, die Investoren zu Verfügung stehen. Dabei wird zwischen Brüssel und Ankara noch gar nicht verhandelt. "Agrarwirtschaft" gehört zu jenen acht Kapiteln bei den Beitrittsverhandlungen, die die Staats- und Regierungschefs der EU wegen des Streits mit Ankara in der Zypernfrage suspendiert haben. Im jüngsten Bericht zum Stand der Beitrittsverhandlungen bescheinigt die EU-Kommission der Türkei zudem nur "begrenzten Fortschritt" im Agrarbereich.

"Auch unter den derzeitigen Voraussetzungen sind die Geschäftschancen sehr gut", stellt Konstantin Bekos, der österreichische Handelsdelegierte in der Türkei fest. Bekos war in den vergangenen Tagen mit einem Dutzend Unternehmern aus der Landwirtschaftstechnik in Ankara und der nördlich von der Hauptstadt gelegenen Provinz Çorum unterwegs. "Österreich hat in diesem Bereich in den vergangenen Jahren zu wenig getan. Wir haben mehr zu bieten als Energietechnik", meinte der Handelsdelegierte mit Blick auf die massiven Investitionen von OMV und Verbund in der Türkei.

Eierhochburg als Testgebiet

Çorum, vier Autostunden von Ankara entfernt auf dem Weg zum Schwarzen Meer, soll das Testgebiet für österreichische Agrarunternehmer werden. Die Provinz gilt als Eierhochburg der Türkei (gezählte 73.487.556 Eier im Jahr 2009), ist im Land bekannt für ihre Kichererbsen - die "Leblebi" -, produziert aber vor allem Kuhmilch und Weizen und exportiert Getreidemühlen in alle Welt.

Saatguthersteller aus Österreich, Hersteller von Landwirtschaftsmaschinen oder Anlagen zur Produktion erneuerbarer Energie, die im Agrarcluster ACA_zusammengeschlossen sind, hoffen nun, auf der Welle der EU-Hilfen für die Türkei in der Vorbereitungszeit zum Beitritt mitzuschwimmen: 172,5 Mio. Euro sind allein für 2011 unter dem Titel "Ländliche Entwicklung" eingeplant. Eine eigene Behörde in Ankara entscheidet über die Vergabe der sogenannten Ipard-Mittel; die EU finanziert dabei 50 Prozent eines Projekts, für das ein türkischer Antragsteller den Zuschlag erhält. Auf 2,26 Mrd. Euro belaufen sich alle Türkei-Beitrittshilfen für den Zeitraum 2007-2013.

Anton Wagner, der Präsident der Zentralen Arbeitsgemeinschaft österreichischer Rinderzüchter (ZAR) hält einen Export von jährlich 5000 Rindern für realistisch - ein Fünftel des Gesamtexports aus Österreich. Mit dem Landwirtschaftsministerium in Ankara vereinbarte Wagner prinzipiell den Aufbau von Zuchtherden für Milch und Fleisch in der Türkei. Fehler bei der Fütterung hatten zuvor aus Übersee importierte Holsteiner-Kühe dezimiert. Das in Österreich vorwiegend verbreitete Fleckvieh gilt als stabiler. (Markus Bernath aus Çorum, DER STANDARD, Printausgabe, 6.12.2010)