Vor 20 Jahren war es ein parlamentarischer "Stillskandal", jetzt sind es ein erwachsener Sohn und eine zufriedene Mutter.

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"Den Michi mitzunehmen, das war aktionistisch, ein Aufzeigen-Wollen", sagt Christine Heindl.

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STANDARD: Vor 20 Jahren haben Sie beide im Parlament für einen ziemlichen Wirbel gesorgt. Wie haben Sie das erlebt?

Christine Heindl: Es war bei der Angelobung, meine erste Sitzung, da ist man natürlich schon etwas nervös. Aber ich war überhaupt nicht nervös, was das Stillen betrifft. Denn dass der Michi als Baby mitkommt, war ja angemeldet. Dann hat er auf einmal Hunger gekriegt, hab ich ihn halt gestillt. Er war ja an sich ein braves Baby. Ich glaube, es gibt ein oder zwei Einträge im Protokoll, dass er einen Ton von sich gegeben hat.

STANDARD: Wer hat sich aufgeregt?

Christine Heindl: Das war vor allem der Nationalratspräsident, Rudolf Pöder von der SPÖ, bei seiner letzten Sitzung. Der hat es aber gewusst. Und plötzlich hat er sich aufgeregt, als hätte es nie irgendein Gespräch darüber gegeben. Die Begründung war merkwürdigerweise: Das arme Baby, diese schlechte Luft im Parlament.

STANDARD: Ab wann haben Sie mitbekommen, dass Sie eigentlich eine kleine Berühmtheit sind. Ein Stück innenpolitischer Geschichte?

Michael Heindl: Das ist so lange her, dass ich mich nicht dezidiert daran erinnern könnte. Ich weiß nur, dass wir im Wohnzimmer Karikaturen hängen gehabt haben. Ich hab die Mama dann einmal gefragt, warum sich da die Männer vor dem kleinen Baby fürchten. Für mich war es eigentlich ganz normal. Und irgendwie war es auch ganz lustig. Das zieht sich ja durch bis heute, dass mich Leute darauf anreden. Auch bei meiner Wahl zum Schulsprecher war das ein Thema. Da hat ein Freund den Slogan kreiert: Michael Heindl - der mit Parlamentserfahrung.

STANDARD: Tatsächlich kann man ja sagen, dass sie die Politik mit der Muttermilch aufgesogen haben. Sind Sie politisch aktiv?

Michael Heindl: Zur Zeit eher nicht. Nach Matura und Zivildienst bin ich jetzt seit kurzem in Wien. Aber interessiert bin ich auf jeden Fall. Mein Problem ist eher, dass ich zur Zeit keine Partei finde, bei der ich mit gutem Gewissen sagen kann: Die kann ich wählen. Bis jetzt hab ich immer das geringste Übel gewählt.

STANDARD: Das wäre?

Michael Heindl: Bis jetzt die SPÖ. Aber seit der jetzigen Budgetgeschichte, frage ich mich, ob die Grünen nicht doch g'scheiter gewesen wären

STANDARD: Was sagt da die grüne Mutter?

Christine Heindl: Ich bin irrsinnig froh, dass ihm Fragen wie die gerechte Verteilung so wichtig sind. Da ist mir nicht so wichtig, ob er die Partei wählt, die ich die ganze Zeit über wähle und wo ich engagiert war.

STANDARD: Sie sind ja, wenn man will, ein grünes Urgestein. Sind Sie zufrieden mit der Performance Ihrer Partei?

Christine Heindl: Mir fehlt einfach der soziale Touch. Und zwar nicht als Touch obendrauf, sondern als Grundhaltung. Seinerzeit war es so, dass viele zu mir gesagt haben: Was du umweltmäßig machst ist ja eh okay, aber das andere ist schon viel zu links. Ich glaube, dass dieses „viel zu links" genau das ist, was wir brauchen.

Michael Heindl: Das hab ich damit gemeint, dass es für mich - aber auch für viele meiner Freunde - keine Partei gibt. In Österreich rückt, solange ich mich erinnern kann, immer alles nach rechts. Das wird auch viel mehr toleriert. In Deutschland ist das anders, da gibt es mit der Linken auch eine Alternative, einen Gegenpol. Bei uns passiert alles nach rechts hin.

Christine Heindl: Der Michael steht zu seinen Prinzipien. Das finde ich ganz wichtig. Er weiß, was er will und sagt das auch. Und ich glaube, dass er ein politisches Talent ist. Er ist ja viel, viel kommunikativer als ich das war.

STANDARD: Das ist dann wohl das väterliche Erbe. Horst Horvath, der sich in Kultur- und Sozialprojekten engagiert, ist ja auch kein ganz unpolitischer Mensch.

Christine Heindl: Ja, wahrscheinlich. Das war ja auch unsere große Angst: Zwei halblinke Eltern ...

Michael Heindl: ... halblinks ist gut...

Christine Heindl: ...da kann der Bub ja nur rechtsradikal werden. Aber bei ihm passiert das nicht. Er ist fundiert.

Michael Heindl: Ich glaube, dass da auch in der Kindheit zuviel passiert ist. Wie der Papa in Oberwart seine Romaprojekte gehabt hat, hab ich halt mit den Romakindern gespielt. Da wäre ich doch nie auf die Idee gekommen, dass das andere Kinder sind als ich. Im Kindergarten in Wien hab ich zwei schwarze Freunde gehabt. Bei mir hat es, glaub ich, nicht einmal die Chance gegeben, dass sich Vorurteile entwickeln. Es hat sich bei mir viel zu früh schon gefestigt, dass es da keinen Unterschied gibt. Hätte ich das nicht so erlebt, hätte ich vielleicht auch eine andere Einstellung.

STANDARD: Sie sind glühender Rapidfan, Stammgast auf der Westtribüne. Dort teilen aber nicht alle Ihre vorurteilslose Einstellung.

Michael Heindl: Das ist ein heikles Thema, stimmt. Das Problem aber ist, glaube ich, dass es in den Medien oft anders dargestellt wird, als man es selber auf der Tribüne miterlebt. Ich finde, dass das von den Ultras ganz gut gemacht wird. Ich erinnere mich, dass da einmal ein schwarzer Spieler von der Austria wegen seiner Hautfarbe verspottet wurde. Das hat der Vorsänger abgestellt, indem er gesagt hat: Jungs, wir haben nichts gegen die Farbe seiner Haut, sondern nur was gegen die Farbe seiner Dress. Oder einmal haben wir ein Match am 20. April gehabt, Hitlers Geburtstag. Da hat irgendeiner geglaubt, er muss lustig sein und hat ein Transparent aufgehängt. Aber das war innerhalb von einer Minute weg. Dafür haben die Ultras sogar ein Kompliment von der UEFA gekriegt. Also man muss schon sagen, dass man gerade auf der West bemüht ist, die Politik draußen zu halten.

STANDARD: Noch einmal ein kurzer Blick zurück. Wäre heute so ein Wirbel angesichts einer stillenden Mutter im Parlament auch noch möglich? Oder hat sich da schon etwas getan?

Michael Heindl: Wenn es das damals nicht gegeben hätte, wäre das heute wohl nicht viel anders. Es kommt mir nicht so vor, dass sich in diesem Bereich so viel geändert hat.

Christine Heindl: Ich glaube, dass die lange Diskussion damals schon zu einer Änderung bei den Frauen und den jungen Männer geführt hat. Es ist intensiv über dieses Thema geredet worden. Also eben auch über die Rolle der Frau, die angehängt ist ans Kind. Da hat sich was geändert. Und darauf bin ich natürlich schon auch ein bisserl stolz.

STANDARD: Wieweit war das auch Aktionismus damals?

Christine Heindl: Den Michi mitzunehmen, das war aktionistisch, ein Aufzeigen-Wollen. Nicht nur darüber zu reden, sondern es auch bildhaft zu zeigen. Dass er dann Hunger kriegt, und ich ihn stille, das war nicht geplant. Die ersten Reaktionen waren die lautesten, die negativen. Aber nach einer Weile hab ich nur noch positive Rückmeldungen bekommen. Ich erinnere mich, dass mir damals der Peter Pilz gesagt hat, du brauchst dir das nicht antun, mit der Straßenbahn zu fahren, das ist ja furchtbar. Aber in der Straßenbahn hatte ich dann die schönsten und interessantesten Gespräche.

STANDARD: Reaktionen gab es damals ja nicht nur in Österreich.

Christine Heindl: Die internationale Aufmerksamkeit ist ein wichtiger Punkt. Dass dieser Wirbel geht bis Australien, Nepal und so weiter, das war schon gut. Da war zum Beispiel das spanische Fernsehen. Ich denk mir, naja, wieder so ein Kamerateam. Aber die sagen: Wir interessieren uns nicht für das Stillen, sondern dafür, warum das in Österreich so einen Wirbel ausgelöst hat.

(Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.12.2010)