Die brüllend angesagte Disco-Protestsängerin M.I.A. sorgte mit harten Beats und verwirrten Polit-Parolen für Jubel im Wiener Gasometer.

Foto: Standard/Christian Fischer

Bei ihrem Wiendebüt hörte man trendy Revolten-Pop.

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Wien - Andere zeitgenössische Aktivisten mühen sich in ihrer Anonymität als das "Unsichtbare Komitee" aus Frankreich verzweifelt damit ab, 50 Jahre alte Thesen der Situationisten literarisch zu remixen. Für die jetzt auch auf Deutsch als Gratis-Download erhältliche Streitschrift Der kommende Aufstand verwendet das Kollektiv dafür etwa Guy Debords Arbeit Die Gesellschaft des Spektakels oder Raoul Vaneigems Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen als rhythmische wie leitmotivische Grundierung.

Theoretisches Rüstzeug, das später auch in den Giftküchen der Roten Brigaden und der RAF verrührt wurde. Man updatet das Ganze mit aktueller Kapitalismus- und Zivilisationskritik sowie mit Einwänden gegen das urbane Leben als Kern allen Übels. Und man schreit das Feuer auf dem Dach herbei. Man lässt dazu in den Höhen aggressives Waffengeklirre und lüsternes Laptop-Rasseln erklingen und fährt den Lautstärkeregler in den roten Bereich. Wie deklamierten The Clash 1982 in Know Your Rights: "This is a public announcement with guitar!"

Ob hier einer rechten Miliz in den Wäldern das Wort geredet oder eine linke Guerilla in den Städten heraufbeschworen wird, sei dahingestellt. Wenn es schon nicht für eine Revolte in sterbenden Sozialgefügen reichen wird, ist zumindest aktuell das Feuilleton wohlig entsetzt.

Spricht man in diesem Zusammenhang notwendigerweise von Pop und Politik als längst unabdingbarer Kopplung, wenn es um die Ökonomie der Aufmerksamkeit geht, landet man sehr schnell bei der britisch-tamilischen Sängerin Mathangi "Maya" Arulpragasam alias M.I.A. (Missing in Action). Neben der kanadischen Elektropunk-Künstlerin Peaches, der es vordringlich um feministische Anliegen geht, gilt deren Schülerin M.I.A. als derzeit wichtigster "politischer" Feuerkopf in der Musikszene. Es geht darum, politische Botschaften aggressiv in den Mainstream zu tragen.

Tanz den Jassir Arafat

Wo M.I.A. mit ihrem Stück Sunshowers 2004 noch vom Musiksender MTV mit einem Bannfluch belegt wurde, weil darin die Textzeile "Like PLO I don't surrender" vorkam, kann sieben Jahre später das Video zur aktuellen Nummer Born Free gleich nur noch im Internet abgerufen werden. Der Song verhandelt Artikel eins der UN-Menschenrechtserklärung.

Im zehnminütigen Video dazu sieht man, wie rothaarige Menschen von Soldaten rassistisch verfolgt und getötet werden. M.I.A.s Vater und auch ihr Bruder waren in ihrer Heimat Sri Lanka Mitglieder der als terroristische Vereinigung eingestuften Liberation Tigers of Tamil Eelam. 2009 wurde sie vom Militär vernichtet.

Aus diesem Background bezieht M.I.A. das Futter für ihre verwirrten Kinderabzählreime. Frisch mit einem Erben der US-Milliardärsfamilie Bronfman verheiratet, verkleidete sich die 35-Jährige im urbanen Krisenherd Gasometer als PLO-Pinup-Girl im Retro-Chic der Ära Arafat. Da geht sich etwas zwischen militanter Dissidenz und Bert Brecht nicht aus: "Wir wären gut - anstatt so roh. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so."

Die ideologische Zerschossenheit wurde durch Militanzmusik aus der Speicherbank hektischer Trendstile wie Dancehall, Bhanghra- und Booty-Beats, Grime und HipHop adäquat ergänzt. M.I.A. versagte vom vielen Schreien die Stimme. Eine Frau, die eine Schlagzeugerin spielte, und zwei Tänzer aus dem Besitz von Britney Spears waren auch dabei. Suchscheinwerfer blendeten. Sirenen riefen: Fliegeralarm! Nach einer knappen Stunde brannten draußen zwar keine Autos, aber Feuerzeuge. Im Gasometer herrscht striktes Rauchverbot. Und wir Opfer haben uns daran gehalten! (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 2. Dezember 2010)