Drei Tage nach dem Sieg des pro-europäischen Blocks bei den Parlamentswahlen in Moldau gibt es noch keine Lösung für den politischen Stillstand, in dem das bitterarme Land zwischen Rumänien und der Ukraine seit mehr als einem Jahr schon verharrt. Nach Auszählung aller Stimmen liegen die Kommunisten zwar voran, der Parteienblock aus Liberaldemokraten, Demokratischen und Liberalen kommt zusammen auf 59 der 101 Sitze im Chisinauer Parlament. Zwei zu wenig, um gemeinsam die verfassungsmäßig vorgeschriebene Drei-Fünftel-Mehrheit von 61 Sitzen zu erreichen. Kommt es erneut zu Neuwahlen, wären dies die vierten innerhalb von zwei Jahren. Ein Referendum im September, das eine Direktwahl des Staatsoberhaupts durch das Volk zum Ziel hatte, scheiterte an zu geringer Wahlbeteiligung. derStandard.at sprach mit dem Journalisten Dumitru Ciorici über das politische Dilemma des Landes zwischen Rumänien und der Ukraine.
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derStandard.at: Als wir im Sommer 2009 miteinander sprachen, haben Sie den politischen Stillstand in Moldau beklagt. Heute, fast eineinhalb Jahre später, hat das Land noch immer keinen Präsidenten. Hat sich seither nichts verändert?
Dumitru Ciorici: Das kann man so sagen. Allerdings haben sich die Kräfte geändert, die im Parlament um die Macht im Land ringen. Der Parlamentspräsident (Mihai Ghimpu, Anm.) übt interimistisch die Funktion des Staatspräsidenten aus. Von einem endgültigen Stillstand kann man aber nicht sprechen. Heute beginnen die Gespräche zwischen den Demokraten und den Kommunisten, vielleicht gibt es in den kommenden ein, zwei Wochen eine Lösung. Entweder bildet eine der demokratischen Parteien eine Koalition mit den Kommunisten; oder zwei Mandatare der Kommunisten stimmen mit den Demokraten für einen neuen Präsidenten.
derStandard.at: Trotzdem dürfte es kein wünschenswerter Zustand für Moldau sein, so lange ohne gewähltes Staatsoberhaupt auskommen zu müssen. Was bedeutet das für die Gesellschaft und die Wirtschaft?
Ciorici: Der Präsident hat keine besonders weitreichenden Kompetenzen in unserem Land. Für die soziale Situation bedeutet das deshalb nicht viel, solange die Regierung funktionsfähig ist. Meiner Meinung nach hat Moldau derzeit die beste Regierung seiner Geschichte, sie hat Reformen durchgeführt und tut dies auch weiterhin. Auch die Wahlen am Sonntag haben gut funktioniert. Das einzige Problem ist der Präsident, aber 60 Prozent der Wähler haben die Demokraten gewählt. Das bedeutet, dass sie zwar nicht vollkommen zufrieden sind mit dem, was die Demokraten im vergangenen Jahr gemacht haben, aber die Reformen gutheißen. Jedenfalls ist es für die meisten Menschen heute besser als vor dem Wahlsieg der Demokraten.
derStandard.at: Was aber, wenn die Gespräche erneut scheitern und wieder kein Präsident gewählt werden kann?
Ciorici Wenn die demokratischen Parteien ohne die Kommunisten koalieren, brauchen sie noch zwei Stimmen zusätzlich, um einen Präsidenten zu wählen. Schaffen sie das nicht, müssen nach ein paar Monaten Neuwahlen ausgeschrieben werden. Es droht also genau die gleiche Situation wie vor einem Jahr.
derStandard.at: Gibt es Bestrebungen, die Verfassung dahingehend zu ändern, dass ein solches Patt ausgeschlossen werden kann?
Ciorici: Es gibt einige Projekte, die eine solche Änderung ausarbeiten. Die Kommunisten haben eine Formel vorgeschlagen, die drei Wahldurchgänge vorsieht. Im ersten Durchgang 61 Stimmen, so wie bisher, im zweiten 57 und im dritten 52. Darüber solle man verhandeln, heißt es, die demokratischen Parteien haben sich noch nicht entschieden, wie sie auf diesen Vorschlag reagieren.
derStandard.at: Hat sich zwischen den beiden großen Kraftfeldern Moldaus, also den pro-russischen und den pro-europäischen Lagern, seit vergangenem Jahr etwas verändert?
Ciorici: Grundsätzlich
wollen 60 Prozent der Moldauer ihr Land in der EU sehen, egal ob sie sich selbst
als rumänisch-, russisch- oder ukrainischstämmig betrachten. Dass sich so
genannte Rumänen und Russen in Moldau gegenseitig politisch nicht unterstützen,
ist bekannt, aber kein großes Thema mehr in der Gesellschaft. Die Kommunisten
nutzen es aber seit zwanzig Jahren in ihren Wahlkämpfen, um den Leuten Angst zu
machen, die Demokraten und Liberalen wollten Moldau zerstören und an Rumänien
anschließen. (flon/derStandard.at, 1.12.2010)