Guido Gluschitsch begleitete das Alpen-Team bei der BMW GS-Trophy 2010 in Südafrika. An Tag drei geht es am durch eine dreißig Kilometer lange Tiefsand-Sektion.

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Ich hab das Gefühl, es bald geschafft zu haben. Es ist nicht mehr weit ins Ziel. Zwar nicht in jenes, in dem wir heute die Zelte aufschlagen werden, sondern in das, wo eine Wolke mit Lenker und Gasgriff mein neues Bett wird. Ich hab die 800er GS inzwischen sicher zehn Mal aufgehoben. Jedes Mal geht es schwerer. Dabei ist der Sand, in dem ich stehe, so tief, dass die BMW von alleine eh fast nicht umfällt.

Foto: Jonathan Beck

Eine geschlagene Stunde packel und zah ich jetzt schon herum und bin gerade einmal 200, vielleicht 300 Meter weit gekommen. Nur noch 30 Kilometer Tiefsand liegen vor mir. Mein Team hab ich vorgeschickt. Eigentlich habe ich sie zum Teufel geschickt. Ich habe ihnen gesagt, dass ich aufgebe, sie fahren sollen. Irgendein Truck wird mich schon aufpicken. Der letzte Checkpoint mit der kompletten BMW-Crew ist ja noch zu sehen, und obwohl er außer Rufweite ist, bin ich sicher, dass sie mich dort schnaufen hören.

Foto: Jonathan Beck

Mein Wasserrucksack wird langsam leer, dafür schmeckt das Wasser extrem knusprig, weil ich bei ein paar der Stürze ein maulvoll Weg inhaliert habe. Vermutlich hab ich mir auch einmal beim Wiederaufstellen die GS auf der Zunge geparkt. Es hat fast vierzig Grad im Schatten, sagt die Armatur der BMW. Keine Ahnung, wie das Radl das wissen will. Hier gibt es weit und breit keinen Schatten.

Foto: Jonathan Beck

Endlich kommt einer der Marschalls zu mir. Meine GS steht inzwischen schon quer zur Fahrtrichtung. Die halbe Drehung zurück zum Checkpoint habe ich geschafft. Den Marschall wird es freuen, wenn er nicht mehr so viel arbeiten muss, um die Enduro zurück zum Checkpoint zu bringen. Dorthin, wo die Trucks und Anhänger stehen. Und die Journalisten, die bereits aufgegeben haben.

Foto: Jonathan Beck

Jan, der Marschall, schaut mir in die glasigen Augen, fragt, ob alles OK ist, und bevor ich noch antworten kann, sitzt er schon auf der GS. Er reißt sie an und reißt sie rum. Doch Moment. Was macht er da? Er stellt sie wieder in Fahrtrichtung auf und meint: „Da geht‘s entlang, Bursche. Wir sehen uns am Abend."

Foto: Jonathan Beck

Mastermind Tomm Wolf hat schon bei der Fahrerbesprechung in der Früh gesagt, dass es nur einen Weg ins Tagesziel gibt. Keine Alternativroute. Nichts. Ich setz mich auf den Bock, zuzel noch einmal an meinem Wassertank, bis er knistert, und denk mir: "Na gut, dann verreck ich halt da." Es ist inzwischen 16:00 Uhr, und um 18:00 Uhr sollte ich im Lager sein, denn wenn es finster wird, hast du hier sowieso keine Chance mehr.

Foto: Jonathan Beck

Ich kämpfe mich weiter durch den tiefen Sand und verfluche mich, weil ich hier überhaupt dabei bin. Daheim ist alles besser. Die Tastatur hat mich noch nie abgeworfen. Verdammter Idiot ich.

Foto: Guido Gluschitsch

Ich stell gerade wieder einmal die GS auf. Vor mir gehen drei Wege auseinander. Ich habe keine Ahnung, welcher der ins Lager ist. Von den anderen Fahrern ist nichts zu sehen. Während ich mir den Sand aus der Kombi in die Unterhose klopfe, kommt ein GS Trophy Truck vorbei. Einer ohne Hänger. Drinnen sitzt Tourarzt Axel. Ich hänge mich an den Truck an – wo der fährt, komme ich locker durch, meine ich.

Foto: Guido Gluschitsch

Als Axel merkt, dass ich mich angehängt habe und nach jedem Sturz wieder aufschließe, lässt er den Wagen anhalten. Er bringt mir Wasser, redet mir gut zu und sagt: "Es sind nur mehr drei Kilometer". Wahnsinn, habe ich inzwischen 27 Kilometer geschafft?

Foto: Guido Gluschitsch

Blödsinn. Es waren drei Kilometer bis zu irgendeinem x-beliebigen Strauch. Von dort waren es dann noch einmal 20 Kilometer bis ins Ziel. Aber die Idee, bald da zu sein, hat mich durchhalten lassen. Und am Ende war ich sogar vor dem Alps-Team im Lager. An einer der unzähligen Gabelungen muss ich sie überholt haben, denn Bernhard erzählt mir am Abend: "Es war schwierig, aber ein echtes Erlebnis. Nur wir haben so viele Pausen gemacht..." Und bei einer solchen dürfte ich an ihnen vorbei sein.

Foto: Jonathan Beck

Die Burschen haben die Etappe wieder ganz locker weggesteckt, obwohl sie um halb sechs in der Früh aufstehen mussten, wir alle zuvor wieder wie die Gestörten über Schotterpisten hobelten und stundenlang nach Mosambik einreisten.

Foto: Guido Gluschitsch

Von der mörderischen Sonderprüfung ganz zu schweigen. Die Fußrasten zweier GSn werden mit einem Schleppgurt verbunden. Auf der Zugmaschine sitzt Bernhard. Und der muss Christoph – er sitzt auf der zweiten BMW, deren Motor nicht rennt – über eine Strecke von vier Kilometer ziehen. Natürlich geht es um Zeit, und selbstredend ist die Passage mit Schlammlöchern, Querrillen und Auffahrten gespickt. Die Burschen reißen zu zweit aber so an, dass ich, obwohl ich nichts ziehen muss, nicht nachkomme.

Foto: Jonathan Beck

"Ich habe immer wieder geschaut, ob du eh noch dranhängst", erklärt Bernhard im Ziel, warum er sich öfter zu Christoph umgedreht hat. Der hat das aber gar nicht bemerkt. "Ich hab nur gesehen, dass sich dein Hinterrad dauernd durchdreht, so hast du da rauf Gas gegeben." Das Alps-Team fährt bei der Sonderprüfung die zweitschnellste Zeit heraus und wird am Abend in der Gesamtwertung einen gewaltigen Sprung nach vorne machen.

Foto: Jonathan Beck

Nur das Nordic Team ist noch schneller und gewinnt mit einem unglaublichen Vorsprung. Den zerstrittenen Italienern wird ihr fehlender Teamgeist zum Verhängnis. Sie sind zwar unglaublich schnell, crashen aber kurz vor dem Ziel zusammen und verlieren wertvolle Sekunden, über die sie am Abend wieder streiten können.

Foto: Jonathan Beck

Einen bösen Sturz baute ein Spanier. Weil ihm ein Auto entgegenkam, musste er ins Gemüse abbiegen. Nur dort waren keine Butterhäupl, sondern große Felsbrocken. Bernhard, der hinter dem Spanier fuhr, erzählt: „Ich hab immer wieder nur den Helm aus dem Graben auftauchen gesehen. Der ist dort sicher mit einem Hunderter von der Strecke geflogen. Ein echtes Wunder, dass ihm außer einer Schürfwunde nichts passiert ist."

Foto: Guido Gluschitsch

Nur das Getriebe der BMW hat sich mit den Steinen nicht ganz einig werden können, wer nachgibt. Aber außer dem defekten Getriebe und einer verbogenen Felge schaute die GS nicht viel anders aus als vorher.

Foto: Guido Gluschitsch

Sein Getriebe hat auch ein Japaner überstrapaziert. Noch in der Nacht repariert das Team den leichten Defekt. Und auch nicht ganz schadlos kommt Johannes aus dem Sand. Er hat sich bei einem Sturz den Fuß böse verdreht und heißt jetzt Humpelstilzchen.

Foto: Guido Gluschitsch

Bernhard hat sich die Fußraste in die Wade gerammt. Aber als am Abend das Unwetter aufzieht, ist das alles egal. Am frühen Abend schlafen alle in ihren Zelten. Niemand hatte auch nur ein Auge für das Meer im Sonnenuntergang, an dem wir die Zelte aufgeschlagen haben.

Foto: Guido Gluschitsch