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Argentiniens Pleite hat 2001 die Märkte erschüttert. Pleitefälle sind in Südamerika inzwischen besser geregelt.

Foto: Reuters

Wien - Vielleicht nimmt den Griechen ein Blick in die Geschichtsbücher die Furcht. Die US-Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart haben in ihrem jüngsten Buch (Dieses Mal ist alles anders - Acht Jahrhunderte Finanzkrisen) unzählige Staatspleiten untersucht. Ergebnis: Staaten gehen nicht nur oft pleite, sie bleiben es auch lange. Griechenland etwa war zwischen 1830 und 1965 die Hälfte der Zeit bankrott.

Angesichts solcher Zahlen ist es überraschend, dass es bis heute kein geltendes Insolvenzrecht für Staaten gibt. Die EU hat diese Woche die Weichen gestellt, um in Zukunft zumindest für die Pleite eines Eurolandes gerüstet zu sein. Sie folgt dabei einer in Südamerika längst etablierten Praxis.

Der zentrale Baustein des neuen Planes verbirgt sich hinter dem Kürzel CAC, was für "Collective Action Clauses" steht. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte gefordert, dass in Zukunft auch private Gläubiger von Ländern - also vor allem Banken und Pensionsfonds, die Staatsanleihen halten - an den Kosten von Staatspleiten beteiligt werden.

Der Merkel-Wunsch wird in abgeänderter Form erfüllt. Eurostaaten müssen ab 2013 CACs in ihre Verträge aufnehmen, wenn sie sich Geld borgen wollen.

CACs sind nichts anderes als Verfahrensklauseln. Kann ein Staat seine Schulden nicht mehr bezahlen, versucht er in der Regel mit seinen Gläubigern eine Ersatzlösung auszuhandeln. So kann die Laufzeit des Kredites verlängert oder ein Teil der Schulden gestrichen werden. Das ist immer wieder (Russland 1998, Venezuela 1998, Ukraine 2000) geschehen.

Das Problem ist, dass grundsätzlich alle Gläubiger einer Umschuldung zustimmen müssen. Oft sind aber tausende Anleger betroffen, wie sollten sie sich jemals einigen? CACs sollen dieses Problem lösen: Mithilfe der Klauseln wird festgelegt, dass nur ein bestimmter Prozentsatz der Gläubiger (oft 75 Prozent) einer Lösung zustimmen muss - die anderen werden an die Vereinbarung automatisch gebunden. Das Konzept wurde Mitte der 90er-Jahre von den G-10-Staaten (ihnen gehörten etwa die USA, Deutschland und Frankreich an) ausgearbeitet. Die erste staatliche Schuldverschreibung mit CACs wurde erst 2003 von Mexiko ausgegeben. Es folgten Brasilien, Chile, Kolumbien.

"Inzwischen sind solche Klauseln in Anleihen von Schwellenländern gang und gebe", sagt Valentin Hofstätter, Anleihenanalyst bei der Raiffeisen International. Industrienationen hätten sie dagegen bisher kaum verwendet. Vor der Eurokrise schien es unmöglich, dass sie pleitegehen könnten.

Die Klauseln erfüllen aber noch eine wichtige Funktion: Sie schützen eine zwischen Staaten und seinen Gläubigern getroffene Vereinbarung. Auch dafür war ein Fall in Südamerika anlassgebend: Peru musste 1995 seine Zahlungsunfähigkeit erklären. Mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde ein Umschuldungsprogramm ausverhandelt. Dann trat das Investmenthaus Elliott Associates auf. Das Unternehmen hatte auf dem Markt peruanische Anleihen - solche Papiere sind ja frei handelbar - im Wert von 20,7 Mio. US-Dollar erworben. Elliott widersetze sich gegen den IWF-Deal und klagte Peru in New York auf volle Zahlung.

Peru musste zahlen

Um einem Vollstreckungsverfahren zu entgehen, zahlte Peru. Die CACs enthalten daher eine Minderheitsklausel, die festlegt, wie viele Gläubiger (oft 25 Prozent) zustimmen müssen, damit ein Land geklagt werden kann.

Alle Probleme lösen aber auch die CACs nicht. Der IWF schlug eigentlich ein anderes Modell vor. IWF-Vizechefin Anne Krueger forderte 2001 die Schaffung eines bindenden Insolvenzverfahrens, das viel breiter ausgelegt war. Bei den CACs bindet die Klausel ja nur die Käufer einer Anleihe - andere Gläubiger des Schuldnerstaates hindert nichts daran, ein Insolvenzverfahren mit Klagen zu stören. Krueger forderte daher ein für alle Geldgeber verpflichtendes Verfahren. Der Vorstoß von Krueger wurde abgelehnt. Allen voran die USA befürworteten eine "marktfreundlichere Lösung via CACs", heißt es in einer Studie der Georgetown-University.

Weil das neue Modell in Europa erst ab 2013 kommt, werden in einer langen Übergangszeit Verträge mit und ohne Klauseln existieren. "Das größte Risiko liegt in den langen Übergangsfristen vom alten zum neuen System", sagt auch Analyst Hofstätter. Nachsatz: "Aber irgendwo musste man ja anfangen." (András Szigetvari, DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2010)