Wenn das Promenadendeck rund ums Schiff führt wie auf der Crystal Serenity, zeugt das von Großzügigkeit, denn hier hat man auf teure Außenkabinen verzichtet.

Infos: www.vistatravel.de

Foto: Crystal Serenity

173, findet Kazuko Takhoka, ist eine gute Zahl: wer etwas 173 Mal gemacht hat, weiß bescheid. Der weiß, worauf er sich einlässt: Überraschungen gibt es da keine - und wenn, bringen sie Gutes. Trotzdem ist 173 nur eine Zahl: Davon, dass Kazuko Takhuko und ihr Mann Kuniyoshi nach ihrer 173. Kreuzfahrt auf der "Crystal Serenity" nicht mehr - oder auf einem anderen Schiff - auf Kreuzfahrt gehen wollen, kann keine Rede sein: "Kommendes Frühjahr", erklärt der ehemalige Import-Export-Unternehmer aus Kyoto, "wollen wir eine wirklich lange Reise auf der Crystal machen." 500 Tage soll sie dauern, erklärt der 72-Jährige. Wohin? Das ist nicht wichtig: "Wir waren ja schon überall."

Es gibt Metaphern, die man auf einem Schiff besser nicht verwendet. Etwa die von der "Spitze des Eisberges". Doch die Menschen, die in Monaco von Bord des - laut Fachpresse - luxuriösesten Kreuzfahrtschiffes der Welt gehen um Fürstentum und Casino zu besuchen, zeigt, dass das japanische Paar typisch ist: Golden Ager, die sowohl Zeit als auch Geld genug haben, um beim Reisen keine Kompromisse eingehen zu müssen.

"Hello Sir, my name is Neill. I am your personal butler", grüßt der Herr im Frack, der Minuten nach dem Betreten der Kabine klopft. "If there is anything I can do for you, do not hesitate to call me - whenever." Doch um die Dinge, auf die es ankommt, muss man Neill gar nicht bitten: Champagner und Kaviar stehen jeden Nachmittag wie von selbst in der Kabine - und wenn man nicht aufpasst, verschwinden Hemden wie von Geisterhand, bloß um rasch wieder gebracht zu werden: "We ironed your shirts, Sir." Und, nein, das kostet nicht extra: „Of course not, Sir. This is part of our complimentary service, Sir."

Service - das ist das Zauberwort auf dem Flaggschiff der elitären "Crystal Cruises"-Linie. Knapp 700 gute Geister umsorgen maximal 1100 Gäste an Bord des 250 Meter langen Schiffes. Andere Schiffe dieser Größenordnung nehmen 3000 Reisende mit. Den Unterschied spürt man. In Restaurants, Kinos und Theatern, im Fitnesscenter, im Casino oder in den Shops - und besonders rund um die Pools. "Die Luxusklasse", erklärt Josef Lumetsberger, der Direktor des schwimmenden Hotels, "sieht auch der Laie: Wenn das Promenadendeck rund ums Schiff führt, zeugt das von Großzügigkeit. Das ist schließlich wertvoller Platz auf dem man teure Außenkabinen bauen könnte." Der Österreicher und ranghöchste Nicht-Seemann an Bord der "Crystal" zeigt auf drei andere Kreuzfahrtschiffe im und vor dem Hafen: Alle haben bekannte Namen - alle sind "verbaut".

Josef Lumetsberger ist stolz auf sein Schiff. Nur dass die "Crystal Serenity" während der vergangenen 15 Jahre ein einziges Mal von den Testern des Condenast-Traveller nicht zum besten, schönsten und luxuriösesten Kreuzfahrtschiff der Welt erklärt wurde, schmerzt den gebürtigen Oberösterreicher - obwohl diese "Schlappe" Jahre zurück liegt. Und dass Gastro-Rezensenten angesichts der Restaurants - unter anderem findet man hier eines der elitären "Nobu"-Restaurants des japanischen Sushi-Großmeisters Nobu Matsuhisa - jubeln, wie man es an Land nicht oft hört, ist für ihn "das, was uns und den Unterschied ausmacht".

Dass der seinen Preis hat, ist klar: Die billigste Kabine gibt es ab 450 Dollar. Pro Nase und Nacht, ohne Butler und Kaviar, aber doch mit All-Inc-Service in den Haubenrestaurants. Die teuerste Kabine, eine rund 200 Quadratmeter große Suite, schlägt mit 2000 Dollar zu Buche. Die meisten Gäste an Bord logieren, essen und trinken aber in der 1000-Dollar-pro-Kopf-Klasse. All inclusive - zuzüglich Landausflüge, Wein und Spirituosen, Kommunikationskosten und den US-typischen "Nebengeräuschen", den nach einem fixen Tag- und Hierarchiesatz berechneten "freiwilligen" Trinkgeldern für Butler (sieben Dollar pro Tag), Kellner (fünf Dollar pro Tag und Servicekraft am Tisch) oder Zimmermädchen (ebenfalls fünf Dollar pro Tag). Alleinreisenden (älteren) Damen stehen darüber hinaus auch noch so genannte "Ambassador Hosts" zur Verfügung: Soignierte Herren, die sowohl als Tänzer als auch als Konversationspartner gute Figur machen. "Mehr", betont Hotelchef Lumetsberger, "gib es da nicht."

Die Rückständigkeit der alten Welt

So kultiviert die "Ambassadors" auch sind, Mehrsprachigkeit steht weder bei ihnen noch bei den anderen um das Wohl der Reisenden bemühten Kräfte - von der Golf-Trainerin bis hin zum "Shopping Director", der rund um die Landausflüge gerne und ausführlich berät, - am Programm. Die Mannschaft kommuniziert zwar polyglott (Kapitän und sein erster Offizier norwegisch, Zimmermädchen tschechisch oder russisch, Matrosen Filipino, Tagalog und andere malayo-polynesische Sprachen ...), die Gäste aber fast ausschließlich englisch. Und zwar mit einer offenherzigen und freundlichen Selbstsicherheit, die oft alle Klischeevorstellungen bestätigt: Dass Polizisten an der Cote d´Azur französisch sprechen wird mitunter ebenso ("but in the movies they speak english!") moniert, wie die Verweigerung von Dollarnoten durch spanische Taxifahrer und italienische Getränkeautomaten. Und die Klimatisierung europäischer Busse "might not be up to the standard we are used to", bittet die tägliche Bord-Zeitung um Verständnis für die Rückständigkeit der alten Welt.

Über 80 Prozent der Gäste an Bord der "Crystal" sind bei den großen Reisen - etwa der 90-tägigen Weltreise - US-Amerikaner. Doch der europäische Markt wird auch die Luxusanbieter am Kreuzfahrtmarkt immer interessanter. Nicht, weil sich in Folge der die Krise weniger Amerikaner die teuren, selten kürzer als 14 Tage dauernden Reisen leisten wollen, sondern weil in Europa der Wunsch nach Luxusreisen immer größer wird, erklärt Crystal-Cruises-Sprecherin Mimi Weisband: "Kreuzfahrten sind im Reisegeschäft eines der wenigen wirklich boomenden Segmente - und wir wissen, dass viele deutschsprachige Gäste mit den Angeboten deutscher Reedereien nicht glücklich sind."

Japan sorgt für Überraschung

Dabei ist die "Crystal Serenity" in Wirklichkeit gar nicht so amerikanisch, wie es Begleitprogramm (etwa durch und durch amerikanische "Lectures" zur Weltpolitik) und Hinweis-Policy (sogar auf Wattestäbchen findet sich ein "how to use") suggeriert: Die offiziell in Nassau gemeldete "Crystal Serenity" ist einer von drei Luxuskreuzern die die japanische Nippon Yuseen Kaisha (NYK Line) unter dem Label "Crystal Cruises" betreibt. Die rund 800 Cargoschiffe führende Großreederei sieht ihre exklusive Kreuzfahrtlinie aber "mehr als Prestigeprojekt, denn als Geldbringer", erklärt Josef Lumetsberger. Doch das Spiel rentiert sich: Ein weiteres Kreuzfahrtschiff ist geplant.

Die meisten amerikanischen Gäste an Bord überrascht der Hinweis auf den japanischen Hintergrund: "Oh, really? I thought this was an American enterprise", staunt Cliff. Der ehemalige Businessimmobilien- Developer aus Houston absolviert hier mit seinem langjährigen Partner gleichzeitig die Pensionsantritts- und verspätete Hochzeitsreise: "Vor 35 Jahren hätten wir uns das nicht getraut." Früher, sagt der Mit-Sechziger, hätte er aber auch nicht im Traum daran gedacht, sich die Welt von einem Kreuzfahrtschiff aus anzusehen. "Beim Reisen hast du die Wahl: Willst du die Hektik von Airports, die Enge von Flugzeugen und die Erniedrigung durch übersteigerten Sicherheitswahn - oder am Abend den Blick auf die Ramblas, in der Nacht auf die Sterne und am Morgen auf die Yachten und das Casino von Monaco? Wenn du das Glück hast, es dir leisten zu können, beantwortet sich diese Frage irgendwann ganz von allein." (Thomas Rottenberg/DER STANDARD/Rondo/26.11.2010)