Die Motoren sind kräftig und schnell genug, um bei Schlaglöchern nach unten zu fahren und damit die Fahrgastzelle ruhigzuhalten.

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Man weiß auf Anhieb nicht, was einen für hochklassige Musikanlagen bekannten Konzern reitet, sich mit der Stoßdämpfung von Autos zu beschäftigten. Vielleicht, weil der Musikgenuss in den von Bose ausgestatteten Luxuslimousinen unter unruhiger Fahrt auf holprigen Straßen leidet. Oder auch, weil man mit in Lautsprechern verwendeten linearen elektromagnetischen Motoren nicht nur Schall erzeugen, sondern auch Stöße dämpfen kann.

Jedenfalls beeindruckt die Vorführung des in einem Lexus-Prototyp verbauten Bose Suspension Systems bei der Firmenzentrale in Framingham, Massachusetts. Luxuslimousinen von Cadillac bis Mercedes neigen sich in engen Kurven heftig (der Elch lässt grüßen), kommen auf einer Rumpelpiste kräftig ins Schwingen. Dagegen bewegen sich die Räder des Prototyps zwar rapide, um die Unebenheiten auszugleichen. Aber die Karosse gleitet fast bewegungslos durch die Schlaglöcher, neigt sich im Slalom nicht.

Geschichten neuer Bose-Entwicklungen beginnen meist mit Anekdoten, wie eine Sache das Interesse von Firmengründer Amar Gopal Bose erweckten. 1956, im Alter von 26, war "Doktor Bose", wie er bis heute respektvoll genannt wird ("Bous" im Englischen), der jüngste Professor für Elektrotechnik der renommierten Technikschmiede MIT. Und er fuhr eines der ersten Autos mit Gasdruckfederung, ein technisch interessanter Ansatz, der jedoch in den Kinderschuhen steckte und entsprechend anfällig war.

Mathematisch sind die Schwingungen von Schall und eines gefederten Autos eng verwandt; 1980 begann Bose mit einem Forschungsprojekt zur Stoßdämpfung: "Wir haben zuerst mathematisch errechnet, was ein perfektes Stoßdämpfungssystem leisten muss. Danach haben wir versucht, es zu bauen."

Schlingerverhalten bei Kurvenfahrt (links) gleichen vier elektromagnetische Motoren beim Bose-Suspension-System aus (rechts).
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Ein Weg, so holprig wie viele Straßen in Neuengland: Geschlagene 24 Jahre forschten die Ingenieure, um ihre Stoßdämpfung auf Basis elektromagnetischer Motoren zu entwickeln. Die unabhängig voneinander an allen vier Rädern arbeitenden Motoren reagieren blitzartig, um bei Schlaglöchern nach unten zu fahren und dadurch die Fahrgastzelle vor Erschütterungen zu bewahren; oder um Schlingern und Schleudern in Kurven zu verhindern. Am Ende eines Schlaglochs wirkt der Motor als Generator, der Strom erzeugt – dadurch kommt das System mit etwa einem Drittel des Strombedarfs einer Klimaanlage aus.

So kräftig sind die Motoren, dass der Prototyp sogar über eine Schwelle springen kann (die Motoren stoßen die Räder zuerst vorne, dann hinten vom Boden ab) oder sich das Auto wie ein Motorrad in der Kurve nach innen legen kann. Aber beide Tricks sind Demos vorbehalten, verbaut werden sie in Serienfahrzeugen nicht.

Bleibt ein Nachteil: hohe Kosten, die in den Krisenjahren eine Markteinführung vereitelten. Bose nennt keinen Preis, zieht aber einen Vergleich: Als 1980 die Corvette als erstes US-Auto ABS als Zusatzausstattung erhielt, erhöhte dies den Kaufpreis um zehn Prozent. Wer der Autohersteller ist, der das Bose-System demnächst als Erster auf den Markt bringen soll, ist vorerst noch geheim. Ein anderes Produkt auf Basis der Stoßdämpfer-Forschung hat Bose hingegen zu Jahresbeginn bereits am US-Markt herausgebracht: einen 5000 Dollar teuren Sitz für Sattelschlepper. So ruhig waren Trucker auf dem Highway noch nie unterwegs. (Helmut Spudich/DER STANDARD/Automobil/19.11.2010)