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Bisher haben sich die Iren zurückgehalten, doch am Montag kam es in Dublin erstmals zu spontanen Demos.

Foto: AP/dapd/Peter Morrison

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Das Wort Schande hat Konjunktur in Dublin.

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Dublin - Nur einen Tag nach der Beantragung von EU-Hilfsgeldern kündigte Irlands Ministerpräsident Brian Cowen vorgezogene Neuwahlen an. Er werde das Parlament im Dezember auflösen, sobald das Budget verabschiedet worden sei. Zuvor hatten sich die Grünen aus der Regierung zurückgezogen und Neuwahlen im Jänner gefordert. Sie wollen das Sparpaket aber noch mitbeschließen.

Die Verabschiedung des Sparhaushalts 2011 könnte damit noch zur Zitterpartie werden. Die Regierung verfügte schon bisher nur über eine Mehrheit von drei Stimmen. Die beiden unabhängigen Abgeordneten der Koalition, Michael Lowry und Jackie Healy-Rae, stellten ihre Unterstützung infrage. Lowry forderte eine stärkere Einbindung der Opposition. Der Euro gab gegenüber dem Dollar wieder nach, die Einheitswährung nur kurz von der Irland-Rettungsaktion profitiert.

Springen die beiden ab, hätte die scheidende Regierung also nur mehr ein Mandat Überhang. Es ist keineswegs sicher, dass die Fianna Fáil geschlossen hinter ihrem Parteichef Cowen steht. Ohne Sparmaßnahmen gibt es aber auch keine Hilfe - kolportiert werden 90 Milliarden Euro - durch EU und Internationalen Währungsfonds.

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Dublin - Begann am Sonntag die Zweite Republik Irland? War der Gang in die Vormundschaft internationaler Organisationen das Ende einer Geschichte, die mit dem irischen Aufstand gegen die Briten zu Ostern 1916 begonnen hatte? Oder sogar 1798 mit den aufgeklärten "United Irishmen"? Diese Fragen werden dieser Tage nicht nur in Historikerzirkeln gestellt, sondern landauf, landab.

Verärgert sehen irische Leser die Karikaturen in englischen Zeitungen. Das weckt Erinnerungen an die notorischen "Punch" -Zeichnungen während der großen Irischen Hungersnot, als die hungernden Bauern in englischen Medien als animalischer Abschaum dargestellt wurden. Es ist nicht mehr so gemeint - die Briten wollen ihren Nachbarn ja sogar freiwillig unter die Arme greifen -, aber die kollektiven Traumata Irlands, die man eben erst noch endgültig überwunden glaubte, können immer noch wachgekitzelt werden. Manch einer bemerkt indessen mit grimmigem Humor, dass die Engländer ja vielleicht doch recht gehabt hätten, als sie den Iren jahrhundertelang vorhielten, sie seien ja doch nicht in der Lage, sich selbst zu verwalten.

Die Begriffe "Schande" und Schmach" haben Hochkonjunktur, denn der Absturz Irlands erfolgte ja aus luftiger Höhe. Als Mitteleuropa 2004 der Europäischen Union beitrat, badete Irland im Ruf des Musterkindes, des Vorbildes: So sollten es die Neuen auch tun; und sie kamen alle nach Dublin, um zu lernen. Selbst der britische Schatzkanzler, George Osborne, sprach noch vor einigen Jahren davon, was die Briten von den Iren lernen könnten. Und Schottlands Erster Minister, Alex Salmond, begründete seinen Wunsch nach Unabhängigkeit mit dem "Bogen der Prosperität" , der sich von Irland über Island nach Norwegen spanne. Es ist ein kurzer Bogen daraus geworden in der Zwischenzeit.

Aber es gibt, paradoxerweise, auch gegenteilige Emotionen: eine Art von Erleichterung hat sich breitgemacht, dass die irische Regierung, deren Ansehen unter den Gefrierpunkt gefallen ist, nun unter Kuratel gestellt wird. Die Experten der internationalen Organisationen gelten als unabhängige Sachverständige, denen man eher zutraut, die radioaktiven irischen Banken mit einem Betonmantel aus Geld zu umhüllen und dadurch unschädlich zu machen.

Auf der Haushaltsseite hält sich vorläufig die (von der Regierung genährte) Überzeugung, dass der am Sonntag vom irischen Kabinett verabschiedete, vierjährige Sparplan von den neuen Herren gebilligt werde. Es ist schon seit längerem bekannt, dass im Jahre 2011 Korrekturen von sechs Milliarden Euro vorgenommen werden sollen, um die Neuverschuldung auf unter zehn Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. Bis 2015 sollen insgesamt 15 Milliarden abgeschöpft werden. So soll der Minimallohn gesenkt werden und die Sozialhilfe wird gekürzt. Genaueres wird am Mittwoch bekannt werden, wenn der Vierjahresplan publiziert wird.

Am 7. Dezember folgt dann das Budget für 2011. Die unumgängliche Austerität wird kaum den internationalen Institutionen angelastet werden, sondern der amtierenden Regierung. Fianna Fáil, einst die parteipolitische Inkarnation Irlands und Dauer-Regierungspartei, ist am Sonntag in einer Meinungsumfrage auf 17 Prozent gefallen - ein Rekord.

Doch das Totenglöckchen dieser Regierung schrillte am Montag: Der grüne Koalitionspartner Fianna Fáils verkündete den Austritt aus der Regierung, nachdem das Budget verabschiedet und die Verhandlungen um das internationale Hilfspaket abgeschlossen seien. Die Grünen schlagen Neuwahlen im Jänner vor. Zwei parteilose Verbündete der Regierung wollen nun das Budget nicht unterstützen. Seither rumort es innerhalb Fianna Fáils, denn die Abgeordneten wollen nicht mit Premier Brian Cowen an der Spitze vor die Wähler treten. Ihre Verluste werden auch ohne ihn vernichtend ausfallen. Die amtierende Regierung befindet sich jedenfalls in Auflösung. (Martin Alioth aus Dublin, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.11.2010)