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Foto: Carsten Rehder dpa/lno

"Poesie" hat der Außenminister der wunderlichen Republik am Kaspischen Meer einmal die internationale Kritik an der Verhaftung zweier junger Bürgerrechtler seines Landes genannt, die zuvor von bezahlten Schlägern zugerichtet worden waren. „Poesie" im Sinne von „romantischen Gesabbere" und im Gegensatz zum nüchternen Verlauf eines ordentlichen Rechtsverfahrens vor einem aserbaidschanischen Gericht. Elmar Mammadyarov, der Minister, gehörte auch zu denen in Baku, die den Bittstellern westlicher Regierungen erklärten, sie sollten sich einmal nicht so anstellen: In rund einem Jahr kommen die beiden jungen Männer sowieso vorzeitig frei. Und so war es dann auch. Emin Milli und Adnan Hajizadeh genießen gerade ihre ersten Tage in Freiheit.

Die Freilassung auf Bewährung der beiden Internetaktivisten aus der Kaukasusrepublik ändert natürlich nichts an der Absurdität des Verfahrens, ebenso wenig wie das Regime in Baku mit diesem Schritt Einsicht oder auch nur Entgegenkommen gegenüber dem Westen gezeigt hätte. Politische Beobachter und Journalisten, die über den Fall berichten und wie Khadija Ismayilova auch mit Milli sprachen, sehen eher einen Zusammenhang mit den neuerlich manipulierten Parlamentswahlen vor zwei Wochen: Die Freilassung von Milli und Hajizadeh soll das Gequatsche („Poesie") über diese Wahlen beruhigen.

Emin Milli selbst sagte in dem Gespräch mit Ismayilova in Baku, er verstehe immer noch nicht, was genau die Regierung mit seiner Verhaftung bezwecken wollte. Das Video mit der Fake-Pressekonferenz, die sein Freund Hajizadeh in einem Eselkostüm gab, mag jemanden im Innenministerium oder im Präsidentenpalast erzürnt haben; der Anlass scheint immer noch nichtig und eher erratisch. Milli und Hajizadeh haben sicher eine große Gefolgschaft unter gleichgesinnten aserbaidschanischen Studenten, die mit Stipendien an Universitäten in den USA, Großbritannien oder Deutschland studieren, und unter kritisch denkenden jungen Leuten in Baku. Die Mehrheit der jungen Aserbaidschaner aber ist nach 17 Jahren Alijew-Dynastie in Apathie verfallen (Papa Heydar feierte nach seiner Zeit als Erster Sekretär des ZK der kommunistischen Partei der Sowjetrepublik Aserbaidschan von 1969 bis 1987 ein Comeback als Präsident des unabhängig gewordenen Aserbaidschan von 1993-2003, Sohn Ilham ist es seit 2003). Wer Grips hat, emigriert oder versucht Karriere im Öl- und Gasgeschäft der Regimebonzen zu machen.

Unter den verschiedenen Blödheiten, die man als junger Mensch im aserbaidschanischen Staatswesen erdulden muss, rangierte zuletzt das Video eines mit seiner Freundin kopulierenden Journalisten, das einer der regierungshörigen Sender vor den Wahlen in den Abendnachrichten brachte. Der Journalist, der damit zu Fall gebracht wurde, war Azer Ahmedov von der Oppositionszeitung Azadliq (Freiheit), den Fernsehkommentar hat instruktiverweise Nigar Fatalin, eine Bloggerin und Filmemacherin aus dem Freundeskreis von Milli und Hajizadeh, für die Nachwelt festgehalten:

„Der Ansager erklärt, dass das, was in dem Video geschieht das Ergebnis der „asymmetrischen Politik des Westens" ist. Während der Szenen mit Oralsex sagt der Moderator von Lider TV, „wir müssen dies der westlichen Welt zeigen, vor allem Frankreich, damit sie wissen, dass ihre Methoden sehr nahe denen von unserer Opposition sind."

Sacha Cohens Film „Borat" wiederum, der seinen unheilvollen Ausgang bekanntlich von Kasachstan nimmt, einer anderen orientalischen Despotie am Kaspischen Meer, endet ja überraschenderweise mit einem Porträtbild von Ilham Alijew und nicht etwa von Nursultan Nasarbajew, des kasachischen Staatschefs auf Lebenszeit. Keine Schluderei, sondern Weitsicht.