"Weiser Ökonom": Kurt Rothschild.

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Wien - Er galt als Doyen der österreichischen Wirtschaftswissenschafter, und er hat noch 2009, mit 95 Jahren, publiziert. Unter dem Titel "Wie die Wirtschaft die Welt bewegt" beschrieb Kurt Rothschild die Wirtschaftstheorie der vergangenen 250 Jahre - und schloss damit in mehrfacher Hinsicht einen Kreis: Dieses sein letztes Buch verfasste er gemeinsam mit ORF-Redakteur Hans Bürger, der an der Linzer Kepler-Universität der letzte Prüfling des Ökonomie-Professors gewesen war. Und: Rothschild, der sich für die Regulierung der Märkte aussprach, setzte sich darin mit Theorien von seinen Zeitgenossen auseinander.

Während seiner Exilzeit nach 1938 hatte er in John Maynard Keynes' Zeitschrift publiziert, bei seiner Rückkehr nach Wien 1947 konnte der Agnostiker ein Empfehlungsschreiben des späteren Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek (neben Ludwig von Mises der wichtigste Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie) vorweisen.

Eine Professur gestand Österreich dem Sozialisten jüdischer Herkunft, der im Ausland schon damals Anerkennung für seine sozial-wirtschaftlichen Werke zu Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit oder Löhnen errungen hatte, erst 19 Jahre später zu - Rothschild erlitt das typisch österreichische Schicksal der sehr späten Anerkennung, freilich ohne darob sein Engagement und seinen feinen Humor zu verlieren.

Aufgewachsen im Roten Wien

1914 geboren, wuchs Rothschild im Roten Wien auf, erlebte die großen Notzeiten als Jugendlicher, beendete 1938 sein Jus-Studium und flüchtete mit seiner jungen Ehefrau nach Schottland. In Glasgow studierte der "Freidenker", wie er sich nannte, Nationalökonomie und politische Philosophie, lehrte als Assistent, kam 1947 nach Wien zurück.

Habilitiert hat er sich damals nicht: In Englisch verfasste Publikationen wurden in Wien nicht anerkannt, "da dacht' ich mir: Habt's mich gern", erklärte er im vorigen Oktober im STANDARD-Interview (siehe "Nachlese"). Rothschild ging als Referent ins Wifo - und ausgerechnet ein rechter Professor war es, der ihn dabei unterstützte, sich mit seiner Theory of The Wages zu habilitieren. 1966 dann wurde Rothschild Gründungsprofessor der Linzer Kepler-Universität

Helmut Kramer, Ex-Chef des Wifo, das der fünffache Ehrendoktor bis zuletzt beriet, würdigte Rothschild anlässlich seines 90. Geburtstags als "einen der wenigen weisen Ökonomen", der auch zulassen könne, dass "manches ungeklärt bleiben muss". Sich selbst nannte Kramer einen "Rothschildianer".

Vorige Woche ist Kurt Rothschild in Wien gestorben, in seinem 97. Lebensjahr. (Renate Graber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.11.2010)