Roman Graf, "Zur Irrfahrt verführt". € 18,50 / 81 Seiten. Limmat, Zürich 2010

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"Der Mond und die Siebensterne / sind untergegangen. Mitter- / nacht ist und die Zeit vorüber. / Ich aber, ich liege einsam." So übersetzt Emil Staiger den Sappho-Vierzeiler, an dem sich jetzt Roman Graf mit gleich sieben Nachdichtungen versucht. Sappho - Labor ist der vierte der sieben Teile von Grafs erstem Gedichtband. In Mitternacht, Nachdichtung vier, heißt es: "Verronnen die Zeit, / Die erste Hälfte. // Einsam / wache ich, / Die zweite." Die Verse, die von den Zeithälften sprechen, die die Mitternacht trennt, sind zugleich Schluss- und Anfangsvers der zwei Hälften des Buchs. Dazwischen, als dessen Mittelpunkt, die Verse "Einsam / wache ich", die von der Grunderfahrung dieses Dichters sprechen, übrig geblieben, allein zu sein. Auch "geblieben" ist "die nicht enden- / Wollende Arbeit" - die am Gedicht. "Du machst Poesie. / Redest Dinge um, / Stumm." Umreden, das ist verwandeln. Und das "Erzeugnis der Umwandlung"? "Rettung verhieße", deutet Graf an, "Ein ganz und gar nutzloses / Im nutznießenden Raum". Klingt das nicht beinah wie "Zweckmäßigkeit ohne Zweck", Kants Bestimmung des Schönen? Mond weg, Plejaden weg. Was tun? Der Schlussvers des Bandes verrät es: "Er wirft seine Lichter empor." Wer im Dunkeln wacht, der "muss jetzt selbst erschaffen." Ein "Taschenweltall" muss her. Zu erleuchten nur durch ein Siebengestirn, konstelliert aus Gedichten. (Urs Allemann / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21.11.2010)