Für die Unternehmen bedeutet Leiharbeit Flexibilität. Die Verliehenen hoffen, irgendwann ganz übernommen zu werden.

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Fast 15 Prozent aller deutschen Uni-Absolventen sind nach ihrem Abschluss Zeitarbeiter. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) sind Hochschulabsolventen demnach häufiger von Zeitarbeit betroffen als Menschen, die eine Lehre abgeschlossen haben. Insgesamt werden in Deutschland die Hälfte aller unter 30-Jährigen "verliehen". Ende Juli 2010 waren in Österreich 66.054 Zeitarbeitskräfte beschäftigt, das sind um 8.824 Personen oder 15,4 Prozent mehr als ein Jahr davor, geht aus einer Erhebung des Sozialministeriums hervor.

Die meisten überlassenen Arbeitszeitkräfte arbeiten hierzulande noch immer in den Sparten "Gewerbe, Handwerk, Dienstleistungen" und "Industrie". Zur konkreten Zahl der Hochschulabsolventen in Leiharbeit gibt es in Österreich so gut wie keine Daten. In der Statistik der Arbeitskräfteüberlassung und privaten Arbeitsvermittlung des Sozialministeriums wurde die Qualifikation der Menschen nicht erhoben, Uniabsolventen sind also nicht explizit aufgeführt. Am Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) schätzt man die Relevanz für Österreich allerdings nicht so hoch ein wie in Deutschland. derStandard.at/Karriere hat sich bei Leiharbeitsfirmen, Karrierecentern und Wissenschaftern ein Bild darüber gemacht, wie sie die Situation in Österreich einschätzen.

Keine Zahlen, aber Trends

"Im letzten Jahrzehnt haben wir einen deutlichen Anstieg von Leiharbeitnehmern auch jenseits von wenig qualifizierten Positionen beobachten können", weiß Wolfgang Mayrhofer von der Interdisziplinären Abteilung für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes Management an der WU Wien. Zur Verbreitung unter Akademikern gebe es aber keine systematisch erhobenen empirischen Daten. "Leider haben wir diesbezüglich keine Zahlen für Österreich", verneint auch ein Mann aus der Branche, Manpower-Geschäftsführer Erich Pichorner. Man bemerke aber einen Trend, dass vor allem im technischen Bereich und im Finanzbereich der Bedarf an Hochschulabsolventen signifikant zunehme. "Zusätzlich gehen Akademiker in Berufe, in denen die akademische Ausbildung nicht unbedingt erforderlich ist, z.B. Sales." Grundsätzlich vermittle man aber Akademiker quer durch alle Branchen. Helene Czanba, Geschäftsführerin des TU Career Centers, ortet im Technikerbereich hingegen keinen Trend Richtung Zeitarbeit. Vor dem Hintergrund, dass Techniker "verzweifelt gesucht" werden, sei das nicht unbedingt die richtige Lösung. Sie vermutet vielmehr, dass der Technikerbereich "am längsten davon verschont bleibt, weil Firmen der Verbleib von Know How so wichtig ist".

"Wir arbeiten in Österreich mit Studenten für speziell terminisierte Einsätze und auch viele Teilzeitjobs sind mit Studenten besetzt", so Irmgard Prosinger von Trenkwalder International. Für Hochschulabsolventen gebe es vor allem im Bereich Sales, Finance, Marketing und Controlling interessante Jobs in der Zeitarbeit. Die Anzahl der Hochschulabsolventen in der Zeitarbeit in Österreich kann auch sie nur schätzen: "zwischen fünf und 15 Prozent". An der WU selbst macht man wenig Erfahrungen mit Zeitarbeit: "Firmen, die WU-Absolventen einstellen, wollen diese eher im Unternehmen aufbauen und für einen verantwortlichen Bereich vorbereiten, das widerspricht dem Motto der Zeitarbeit", meint Ursula Axmann, Geschäftsführerin des WU ZBP Career Center. Allerdings komme es ab und zu vor, dass Unternehmen, die temporär keine Headcounts frei haben, Absolventen über Leiharbeitsfirmen beschäftigen. "Sobald ein Headcount frei wird, werden sie dann in ein Dienstverhältnis übernommen." Ähnlich sieht das auch Czanba für Techniker.

Imagewandel

Leiharbeit habe in der allgemeinen Öffentlichkeit einen deutlichen Imagewandel zum Positiven hinter sich, meint WU-Forscher Mayrhofer: "Was einem häufig begegnet, wird 'irgendwann' Teil der Normalität. Insbesondere vor dem Hintergrund von drohender Arbeitslosigkeit wurden Leiharbeitsverhältnisse als bessere Alternative angesehen." Dazu komme, dass Unternehmen aus Flexibilitätsgründen sich Leiharbeitnehmern bedienten und das oft langjährige Nebeneinander von regulär und über Leiharbeitsverhältnisse beschäftigten Personen hier zu einer Verwischung der Grenzen in der privaten und öffentlichen Wahrnehmung geführt habe.

Vom Leasing zu Fixanstellung

Für die Unternehmen bedeutet Leiharbeit dennoch maximale Flexibilität. Die Chance vom Betrieb irgendwann ganz übernommen zu werden, spielt für die Verliehenen hingegen eine große Rolle. In einer Umfrage des Personalüberlassers Hofmann in Oberösterreich ortet man eine steigende Offenheit der unter 30-Jährigen gegenüber Leiharbeit. Hauptbeweggrund ist aber besagte Hoffnung. Laut einer aktuellen Befragung der Arbeiterkammer Oberösterreich, streben drei Viertel der unter 26-Jährigen Leiharbeiter eine Übernahme an.

Leiharbeit als Berufseinstieg

Branchenvertreter Pichorner sieht in der Tatsache, dass Zeitarbeit sehr oft projektbezogen ist, für Absolventen die Möglichkeit, Unternehmen kennenzulernen und Erfahrungen zu sammeln: "Sehr oft bleiben sie dann beim passenden Unternehmen hängen, das ist dann der Berufseinstieg." Auch Axmann hat grundsätzlich keine Vorbehalte gegenüber Zeitarbeit: "Während des Studium ist es eine Gelegenheit Berufserfahrung zu sammeln - abseits von Praktika." Allerdings sollten Studierende darauf achten, dass die Inhalte zum Studium passen, denn Leiharbeitsfirmen sprächen schon häufig ein anderes Qualifikationsniveau an. "Für Absolventen einer berufsbildenden Schule ist Zeitarbeit ein idealer Einstieg in das Berufsleben", meint Prosinger. Im kaufmännischen Bereich werde jeder zweite Zeitarbeiter übernommen. (Marietta Türk, derStandard,at, 22.11.2010)