Bild nicht mehr verfügbar.

Bei der Präsentation des Buches „Viel Glück! Migration heute" wurde über „Überfremdung", Feindbilder, Arbeitsmigration und die Willkür des Fremden- und Asylgesetzes diskutiert

Foto: APA/Herbert Pfarrhofer

Joachim Stern, Aysem Biriz Karacay, Hikmet Kayahan, Doris Einwallner und August Gächter (v.l.n.r.)

Foto: Meri Disoski

Während West- und Mitteleuropa seine BewohnerInnen seit 1492 in die gesamte Welt entsende, fungiere es erst in den letzten vierzig bis fünfzig Jahren als Einwanderungsgebiet. Einer 500jährigen Migrationsgeschichte stehe somit ein halbes Jahrhundert als Einwanderungsziel entgegen. "Wie kann es angesichts dieses Verhältnisses heute in Europa, in Österreich zur Furcht vor ‚Überfremdung' kommen?", fragt Hikmet Kayahan.

Von Aufnahmeländern dominierter Diskurs

Ayşem Biriz Karaçay von der Istanbuler Koç Universität ortet einen möglichen Grund in der Dominanz der von den Aufnahmeländern geprägten Diskurse. Im Zentrum der darin gebrauchten Terminologie steht der Begriff „Gastarbeiter" und die damit verbundene Idee, eine bestimmte Anzahl an Personen für einen bestimmten Zeitraum als Arbeitskraft anzuwerben, im Vordergrund. Die Perspektive der so genannten Entsendeländern werde hingegen - zum Teil aus Unwissenheit - weitgehend ignoriert. Wolle man über Fragen der Migration konstruktiv und abseits von verankerten Klischeevorstellungen diskutieren, "müssen die Perspektiven der Aussende- und der Aufnahmeländer berücksichtigt werden", fordert Karaçay.

Klischeevorstellungen und Feindbilder

Auf Kayahans Frage, was man den "von der Politik und den Medien produzierten Feindbildern" entgegen setzen könne, antwortet die auf Fremden- und Menschenrecht spezialisierte Wiener Rechtsanwältin Doris Einwallner zunächst mit einem knappen „Vieles!" So sei es etwa leicht nachweisbar, dass das von „einigen PolitikerInnen" zur Stützung ihrer Argumentation vorgebrachte Zahlenmaterial ausschließlich der "Untermauerung von Klischeevorstellungen" diene und mit der Realität wenig gemein habe. Konkret sei beispielsweise immer von „großen Migrationswellen, die nach Österreich schwappen", die Rede und es würde suggeriert werden, dass vor allem Menschen aus Südeuropa, Nordafrika und Asien nach Österreich kämen. Unerwähnt bleibe hingegen, dass die EU-Binnenmigration, gemessen an der Gesamtzuwanderung, in Österreich "mittlerweile sehr hoch" sei.

Arbeitsmigration im österreichischen Selbstbild?

Habe man im Österreich der 196er-Jahre das "starke Gefühl" gehabt, MigrantInnen zu brauchen, stelle sich die Situation heute völlig umgekehrt dar: "Viele sind der Meinung, dass die MigrantInnen uns brauchen und nicht umgekehrt", so der Migrationsforscher August Gächter. Da man davon ausgegangen sei, dass die „GastarbeiterInnen ohnehin nur kurz bei uns bleiben", habe es von offizieller Seite lange Zeit auch keinerlei Bestrebungen gegeben, Arbeitsmigration in das österreichische Selbstbild zu integrieren. Die Idee von den GastarbeiterInnen auf Zeit habe sich spätestens Ende der 1980er-Jahre als Illusion herausgestellt. Seitdem sei man hierzulande vor allem darum bemüht, die Menschenrechte "scheibchenweise einzuschränken", denn solange diese Gültigkeit hätten, könne man "Migration nicht in den Griff kriegen" fasst Gächter die seiner Ansicht nach derzeit herrschende Überzeugung der Verantwortlichen zusammen.

Willkür, Hyperregulierung und Milde

Bis in die späten 1980er-Jahre seien MigrantInnen in Österreich in vielen Bereichen der "Willkür der Fremdenpolizei" ausgeliefert gewesen, so Joachim Stern vom Institut für Staatsrecht der Universität Wien. Die Ende der 80er-Jahre einsetzende "Verrechtlichung des Migrationsrechts" habe zunächst zwar "ein Ende des Willkürregimes" mit sich gebracht, im Endeffekt jedoch zu einer Hyperregulierung des Migrationsrechts geführt. Als Beispiel führt Stern das Jahr 1994 an, in dem vierzehn Änderungen in zentralen Bereichen des Fremden- und Asylgesetzes vorgenommen worden sind. Die vielen unterschiedlichen und in kurzen Abständen immer wieder novellierten Regelungen hätten somit im Bereich des Migrationsrechts heute wieder ein intransparentes Regime, das sich "letztlich wieder als Willkürregime entpuppt", mit sich gebracht, resümiert Stern. Die Intransparenz des derzeitigen Regimes lasse sich anhand Falles der Komani-Zwillinge nachzeichnen. Aus Milde habe die Innenministerin die Zwillinge und deren Vater die Rückkehr nach Österreich ermöglicht. Milde impliziere jedoch, dass Gnade vor Recht gelte und wo dies der Fall sei, herrsche ein "System der Willkür". (Meri Disoski, daStandard.at, 17. November 2010)