Die Beschriftung "Wehrmacht" am Flakturm im Arenbergpark im dritten Wiener Gemeindebezirk ist stark verblasst und nur noch im Winter leserlich, wenn der Wilde Wein seine Blätter lässt. (Siehe auch Reportage "Frische Brise für ein dunkles Labyrinth")

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Ab Oktober 1940 ließ das nationalsozialistische Regime sechs Flaktürme in Berlin errichten, 1941 folgten vier in Hamburg. Ende 1942 begann sukzessive der Bau von sechs weiteren in Wien. Im Arenbergpark stehen zwei Betonmonolithe: Der ehemalige Gefechtsturm dient heute als Dependence des Museums für Angewandte Kunst, der gegenüberliegende Leitflakturm war jahrzehntelang verschlossen und birgt daher wertvolle historische Schätze.

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"Es handelte sich um militärische Bauten. Die Flaktürme dienten auch der Propaganda und als Drohgebärde", sagt Architekturhistorikerin Ute Bauer.

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Die Wissenschafterin untersuchte mit zwei Archäologen die Mauern des Leitflakturms im Arenbergplatz akribisch Zentimeter für Zentimeter und entdeckte bislang 238 Graffiti.

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Die meisten Worte, Namen, Zahlen und Zeichnungen konnten eindeutig den Menschen zugeordnet werden, die als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Die überwiegende Anzahl ist mit Bleistift auf Ziegel aufgetragen, die nächstgrößte Gruppe mit Kreide auf Stahlbeton. Schreibmaterial gehörte vermutlich zur Standardausstattung, die man während eines Fliegeralarms in den Bunker mitnahm, um sich die Zeit zu vertreiben.

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Die Unterscheidung der Graffiti vor und nach 1945 seien durch einige Merkmale relativ eindeutig zu treffen, berichtet Ute Bauer: "Die Zwangsarbeiter wollten nicht auffallen, die Hinweise sind unauffällig und teilweise versteckt."

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So fanden sich Notizen unter dem Putz, auf den Phosphorstreifen zur Orientierung oder auf Holzstücken hinter Lichtschaltern. Zudem wurden viele Notizen in Kurrentschrift verfasst. Die Menschen nach 1945 hätten sich viel auffälliger verewigt, sagt die Wissenschafterin.

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Der erste Stock diente als Lazarett. Es gab zwei Ärzteräume und zwei Liegeräume, einen Behandlungsraum, ein Isolierzimmer, einen Sanitätsraum für Männer, ein Schwesternzimmer und eine Kochstelle. Der zweite Stock diente schon dem Luftschutz.

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Im dritten Stock wurde der Leitturm betrieben. Der Turm war prinzipiell mit dem Stromnetz der Stadt verbunden, verfügte aber auch über einen Traforaum und ein Umspannwerk. In dem Stockwerk gibt es auch eine Belüftungsanlage, die heute noch funktioniert. Der massive Stahlaufzug ist hingegen schon seit Jahrzehnten defekt.

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Das vierte Geschoß diente allein dem Luftschutz. Mit 25 Einzelräumen ist die Einteilung kleinteiliger als im fünften Stock.

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Die Gemeinschaftsbunker boten nur eine vermeintliche Sicherheit, wie Archäologe Franz Pleier zu berichten weiß: "Es gab Spitzel, man musste aufpassen, was man von sich gab."

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Die "Seitz-Werke" produzierten im sechsten Stock Maschinen und Asbestfilter. Der Firma AEG, beim Flakturmbau für Dieselmontage und Elektrogewerke zuständig, wurden verschiedene Räume in unterschiedlichen Geschoßen zugewiesen.

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Im sechsten Stock war auch die Spießkanzlei und Schreibwerkstatt, an der Wand finden sich noch einige Namen der Mitarbeiter: Wachmann Piringer, Unteroffizier Steinhäusler, Unteroffizier Thiemig, Obergefreiter Hölzl und Obergefreiter Schulte. Vermutlich wurde dort der Arbeitsplan organisiert. Die Trennung zum siebten Stock wurde durch eine etwa vier Meter dicke Panzerdecke hergestellt, die die darunterliegenden Geschoße vor Bomben und Splittern schützte.

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Der achte Stock war ausschließlich für Luftwaffe zugänglich. Im neunten Obergeschoß bildete sich über die Jahre eine dicke Schicht aus Tauben-Kot. Durch einen langen Gang gelangt man zu den ehemaligen Mannschaftsräumen, Sanitäranlagen und zu dem Kartenraum.

Das Dachgeschoß erreicht man über drei schmale Stiegen. Im Zweiten Weltkrieg war die Brüstung mit elektrischen Mess- und Kommandogeräten ausgestattet. Heute hat ein Handybetreiber einige Masten montiert. Und wenn nicht gerade Wissenschafter oder Journalisten stören, jagen Turmfalken in aller Ruhe Tauben.

Im Bild: "Vive la France."

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Die meisten Zwangsarbeiter, die sich verewigt haben, stammten aus Frankreich oder Italien. Der Autor von "Milano e poi morire" ("Mailand und dann sterben") war vermutlich ein italienischer Zwangsarbeiter, der damit seiner Sehnsucht nach der Heimat Ausdruck verlieh.

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Die von Hitler als "Militärinternierte" bezeichneten italienischen Soldaten wurden nach dem Waffenstillstand Badoglios mit den Alliierten im September 1943 in Kriegsgefangenen-, Arbeits- und Konzentrationslager nach Deutschland gebracht. Die "IMIs" (italienische Militärinternierte) wurden aufgrund der rassistischen Hierarchisierung und der Propaganda der Nationalsozialisten besonders schlecht behandelt.

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"Laval, Grosse Scheise", schrieb ein Franzose leicht fehlerhaft auf eine Wand. Er bekundete damit seinen Unmut gegen den damaligen französischen Ministerpräsidenten Pierre Laval. Er galt als überzeugter Unterstützer des Nazi-Regimes und sorgte nach Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich im Parlament dafür, dass die Macht am 10. Juli 1940 an Pétain übertragen und damit die Dritte Republik beendet wurde. Nach dem Ende des Terror-Regimes wurde er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt.

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Die Öffentlichkeit konnte sich erstmals 2006 ein Bild vom Flakleitturm im Arenbergpark machen. Provisorisch beleuchtet, waren alle Geschoße bis zur Plattform zugänglich und ausgewählte Räume wurden mit Kunst bespielt. Einige Kunstwerke hängen noch heute an den Wänden.

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Vermutlich stammt diese Notiz von einer genervten Frau. An die Wand des ehemaligen Waschraums hat sie mit eilig geführter Kreide geschrieben: "50 Weiber und kein Wasser. Wo bleibt das Wasser!" Zeitzeugen zufolge konnten die Aufenthalte viele Stunden dauern.

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Die Waschbecken wurden, vermutlich noch in der Nachkriegszeit, entfernt. Die Toiletten waren wohl zu schwer und sind noch erhalten.

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In einem Stockwerk haben Menschen ihre schweren Stiefel in den noch weichen Betonboden gedrückt.

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Am 8. April 1945 wurde der Leitturm verlassen, zu diesem Datum finden sich zahlreiche schriftliche Bestätigungen. Was es mit der Inschrift vom 16.2.1945 genau auf sich hat, ist allerdings nicht klar.

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Ute Bauer kritisiert die fehlende Präsentation und Aufarbeitung des Gefundenen, was auch internationale Bedeutung habe: "In Berlin gab es zum Beispiel eine Ausstellung wegen einer Handvoll italienischer Graffiti. Wir haben hunderte in dem Wiener Flakleitturm gefunden." Internationales Interesse sei vorhanden, es gebe immer wieder Anfragen, berichtet Bauer.

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Die Architekturhistorikerin wünscht sich, dass der Leitflakturm erhalten bleibt und durch geführte Touren für die Öffentlichkeit ebenfalls zugänglich wird. Eine Gedenktafel, deren Anbringung für Februar geplant ist, soll die geschichtliche Funktion auch für Passanten und Touristen erklären. Eine Nutzung als Datencenter lehnt sie ab: "Das würde die Zeitdokumente durch notwendige großräumige Baumaßnahmen unwiderruflich zerstören." (Julia Schilly, derStandard.at, November 2010)

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